Wer Böses Tut
erfahren hätten, hätten Sie oder irgendjemand anders nichts tun können, das versichere ich Ihnen.«
Er nickte langsam, verzog das Gesicht und leerte sein Glas, als widere ihn das Ganze an. »Normalerweise trinke ich nicht so«, sagte er und stellte das Glas fest auf den Schreibtisch vor sich. »Und schon gar nicht am frühen Morgen. Aber ich habe nicht geschlafen. Ich glaube kaum, dass ich heute viel arbeiten kann. Wahrscheinlich schließe ich die Galerie und gehe nach Hause, wenn wir hier fertig sind. Muss erst mal kapieren, was passiert ist. Überlegen, was getan werden muss, wie ich es meinen Kunden sage.«
Seine Trauer und sein Schock schienen echt zu sein, und sie wünschte, sie müsste ihn nicht weiter belästigen. »Können Sie sich vorstellen, wer einen Grund gehabt haben könnte, Miss Tenison umzubringen?«, fragte sie nach einer Weile.
Er sah zu ihr auf und blinzelte. »Nein. Alle haben sie angebetet. So war sie. Rachel konnte jeden bezaubern.«
»Wissen Sie, ob es bei ihrer Arbeit oder in ihrem Privatleben irgendetwas gab, was sie bedroht hat?«
»Nein. Nichts.« Er runzelte die Stirn. »Es wird ganz einfach sein. Irgendein losgelassener Irrer, ein Geisteskranker, den man aus dem Gefängnis entlassen hat oder aus dem Krankenhaus, weil die Regierung nicht dafür bezahlen will, dass sie hinter Gittern bleiben, wo sie hingehören.«
»Wir ziehen alle Möglichkeiten in Betracht, Mr. Greville«, sagte Donovan, die sich nicht in eine politische Diskussion ziehen lassen wollte, obwohl sie Verständnis für ihn hatte. »Und eine davon ist, dass sie von jemandem ermordet wurde, den sie kannte.«
Er schüttelte heftig den Kopf. »Warum sollte jemand, der Rachel kannte, sie umbringen? Das ergibt überhaupt keinen Sinn.«
»Was ist mit einem ihrer Kunden? Wie Sie sagten, sind die Beziehungen sehr eng. Könnte nicht einer von ihnen eine Grenze überschritten haben?«
»Nein. Jedenfalls fällt mir keiner ein. Natürlich fanden einige sie wahrscheinlich attraktiv. Das gehört zum Leben, und sie war ein sehr hübsches Mädchen. Aber Rachel war unglaublich vorsichtig in diesen Dingen, sie ging nie zu weit und achtete immer auf die richtige Distanz. Die Kunden wussten das und respektierten sie dafür. Sie war immer durch und durch professionell.«
»Was ist mit ihrem Privatleben?« Sie fing seinen Blick auf und fragte sich, ob er seine Beziehung zu Rachel Tenison freiwillig zur Sprache bringen würde.
Greville wirkte überrascht. »Glauben Sie, es war eine Beziehungstat?« Er strich sich nachdenklich über das Kinn, dann sagte er: »Ich wüsste nicht, dass in letzter Zeit da was war. Es gab mal einen Knaben bei Christie’s, der ihr nachgelaufen ist, ein bisschen wie ein verlorenes Schaf, aber ich glaube kaum, dass sie an ihm interessiert war. Keine Ahnung, was aus ihm geworden ist, und
er war so ein Waschlappen, man konnte ihn auswringen... er ist wohl kaum der Typ … Egal, es war sowieso nichts von Bedeutung, falls Sie danach suchen. Sie ging manchmal mit dem einen oder anderen Freund essen, aber mehr auch nicht.«
»Gab es noch jemanden?«
»Ich erinnere mich an einen Journalisten, so ein Typ, mit dem sie auf der Universität war. Er kam in letzter Zeit öfter in die Galerie - ich glaube, er wollte etwas über Bilder schreiben, die von den Nazis geraubt wurden -, aber sonst weiß ich von niemandem, der so starke Gefühle für sie hatte, dass er -«
»Man weiß nie genau, Mr. Greville, was Menschen fühlen, was sie zeigen oder was sie verbergen. Ich brauche alle Namen, die Ihnen einfallen.«
Greville seufzte, als wäre das alles ungeheuer anstrengend. »Der Knabe von Christie’s … er hieß Rupert irgendwas … bei den British Pictures , wenn ich mich richtig erinnere. Vielleicht ist er dort immer noch. Der Journalist heißt Jonathan, aber das fragen Sie lieber Selina. Sie weiß mehr über solche Sachen, und sie herrscht über den Kalender.«
»Und was ist mit Ihnen, Mr. Greville?« Sie sah ihm direkt in die Augen. »Wenn ich richtig informiert bin, hatten Sie ein Verhältnis mit Miss Tenison.«
Er sah sie an, schürzte seine dünnen, trockenen Lippen und zog scharf die Luft ein. »Ich glaube wirklich nicht, dass Sie das etwas angeht.«
»Uns geht alles etwas an. Würden Sie mir bitte davon erzählen?«
Er knetete seine Hände und wandte den Blick ab. »Da gibt es eigentlich nicht viel zu erzählen.«
»Aber es ging über einige Jahre, oder?«
»Ja. Aber es ist seit einer Ewigkeit vorbei, und
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