Wer Böses Tut
ihm.
Oben hockte Minderedes auf der Schreibtischkante bei Selina.
»Zeit zu gehen«, sagte sie forsch. »Hast du alles, was wir brauchen?«
»Jawohl.« Minderedes rutschte vom Schreibtisch und folgte ihr zur Tür. Sie waren schon fast auf der Straße, da schaute er sich noch einmal zu Selina um, hielt Daumen und kleinen Finger wie ein Telefon an sein Ohr und formte die Worte »Ruf mich an« in ihre Richtung. Donovan sagte nichts, trat auf die Straße und ließ die Glastür hinter sich zufallen. Wenn er sich wie ein Idiot benehmen wollte, war das sein Problem.
Es war eiskalt, der Himmel wieder bedrohlich dunkel, und sie zog ihren Mantel noch enger um sich. Der Schnee hatte sich in Matsch verwandelt, und schon nach der kurzen Strecke von der Galerie bis zum Wagen hatte sie nasse Füße.
»Keine Ahnung, was mit dir ist«, sagte sie scharf, als Minderedes grinsend hinter ihr durch die Tür kam, »aber ich brauche
jetzt einen Kaffee und etwas zu essen. Wenn wir uns beeilen, reicht die Zeit auf der Parkuhr noch.«
»Klar. Könnte auch was Heißes vertragen.«
Sie überquerten die Straße zu einem kleinen Café auf der anderen Seite, erstanden Gebäck und Kaffee und nahmen beides mit zum Tresen am Fenster, von wo aus sie einen Blick auf die Straße und die Galerie Greville-Tenison hatten. Obwohl es gegen Mittag ging, waren kaum Passanten auf der Straße und wenig Verkehr, die meisten Menschen blieben wegen der Kälte drinnen. Nach wenigen Minuten sah sie Richard Greville in einem langen, dunklen Mantel und einem braunen Hut aus der Galerie kommen. Er entfernte sich die Straße hinunter und wandte sich in Richtung Berkeley Square.
»Greville war letzten Freitag auf den Flug um sechs Uhr fünfzig nach Genf gebucht«, sagte Minderedes zwischen zwei Bissen in eine große Zimtschnecke, eine zweite wartete noch unberührt auf seinem Teller. »Der Flieger landete gegen halb zehn Ortszeit, dann hatte er Besprechungen mit einigen Kunden, was fast den ganzen Tag gedauert hat. Das Wochenende hat er mit anderen Kunden in Basel verbracht.«
»Was ist mit Mrs. Greville?«
»Sie ist wohl in London geblieben. Ich habe die Adresse und werde später bei ihr vorbeischauen.« Er stopfte sich ein weiteres Stück Schnecke in den Mund. Die Ellbogen auf den Tresen gestützt, den beigefarbenen Regenmantel sorgfältig gefaltet über dem Arm, pickte er jeden heruntergefallenen Krümel, jede Nuss auf, als täte es ihm weh, irgendetwas zu verschwenden. Wie er so dünn sein konnte, war ein Rätsel.
Donovan biss ein kleines Stück von ihrem Croissant ab und wünschte, sie wäre nicht so hungrig. »Überprüf das bei der Fluggesellschaft, damit wir sicher sind, dass er auch wirklich im Flugzeug war.«
»Natürlich. Und wenn es stimmt, ist er aus dem Schneider.« Minderedes zog seine buschigen Augenbrauen hoch und strich eine hauchdünne Schicht Puderzucker von seiner Krawatte.
»Was ist mit Selina? Hat sie ein Alibi?«
»War zu Hause. Ihre Mitbewohnerin kann es bestätigen. Glaubst du wirklich, der Mörder könnte eine Frau sein?«
Donovan trank einen Schluck von ihrem unangenehm milchigen Cappuccino. »Ausschließen können wir es nicht, auch wenn wir alle wissen, dass man sehr viel Kraft braucht, um eine Leiche zu bewegen. Ich kann mir nur nicht vorstellen, dass eine Frau einen Kampfgriff benutzt, es sei denn, sie war beim Militär oder trainiert irgendeine Kampfsportart. Hat man den Laptop und das Handy gefunden?«
»Noch nicht. Anscheinend behielt sie den Laptop meistens zu Hause und hat ihn selten für die Arbeit benutzt. Ich habe ihre private E-Mail-Adresse, aber wenn sie die E-Mails bereits runtergeladen hat, sind sie beim Provider gelöscht. Von ihrem Computer im Büro werden, Gott sei Dank, regelmäßig Sicherungskopien auf das dortige Netzwerk geladen. Soweit Selina weiß, hat sie ausschließlich den Blackberry als Handy benutzt, aber der ist nur mit den beruflichen E-Mails verlinkt.«
»Sieht also so aus, als hätte jemand die Geräte mitgenommen. Was ist mit ihrem Kalender? Ist der im Netz?«
Minderedes nickte. »Ich habe einen Ausdruck, und Selina schickt mir die komplette Version zusammen mit der Liste ihrer Kunden. Die meisten leben im Ausland, sodass wir sie hoffentlich schnell streichen können.«
»Was ist mit dem Amerikaner, mit dem sie sich am Freitag treffen sollte?«
»Er ist noch in der Stadt. Wenn wir hier fertig sind, wollte ich zu ihm in sein Hotel gehen. Selina sagt, es ist nur ein paar Minuten zu Fuß von
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