Wer Böses Tut
sie das Bild von Tartaglias attraktivem Gesicht aus ihrem Kopf vertreiben. »Aber ich glaube, es ist keine gute Idee. Und ich habe schreckliche Kopfschmerzen, die nicht besser werden.«
»Ich kann sie lindern«, sagte er sanft.
Sie öffnete die Augen und starrte blicklos auf die Straße unter dem Fenster. Eine nasse, graue Schicht bedeckte die Mitte, wo gestreut worden war, und am Straßenrand und auf den Bürgersteigen türmten sich schmutzig graue Schneeberge. Ein Bus kam um die Ecke und musste mitten auf der Straße halten, weil ein Auto in zweiter Reihe parkte. Der Verkehr staute sich bis zur Ampel am Elgin Crescent, und sie hörte das ungeduldige Hupen der Fahrer.
Mit Rachels Tod hatte sich etwas Entscheidendes geändert. Sie konnte es nicht in Worte fassen, und ganz bestimmt nicht ihm gegenüber, aber sie war zutiefst verunsichert. Sie wollte nur noch die Augen zumachen, den Kopf in seinen Armen vergraben und die Außenwelt für eine Weile vergessen. Doch das war keine Lösung, wie sie sehr wohl wusste; das Leben war nicht mehr so einfach.
»Bitte erlaub mir zu kommen«, sagte er. »Ich will bei dir sein.«
»Nein. Nicht heute Abend. Ich hab dir doch gesagt, ich möchte allein sein.«
Sechs
»Ist das ein Raphael?«, fragte Sam Donovan mit Blick auf die große, gerahmte Leinwand, die hinter Richard Grevilles Schreibtisch hing.
Ein schwaches Lächeln huschte über Grevilles hageres Gesicht. »Sehr gut, Sergeant. Aber ich fürchte, ich muss Sie enttäuschen. Es ist eine Kopie, wenn auch eine sehr gute, möglicherweise wurde sie nur ein paar Jahrzehnte nach Raphaels Tod angefertigt. Gelegentlich haben wir oben einige Zeichnungen von ihm, aber Ölgemälde kommen selten zur Auktion, und wenn, dann bringen sie viele, viele Millionen. Dieses hier habe ich allerdings vor langer Zeit für einen Apfel und ein Ei gekauft. Deswegen kann ich es mir erlauben, es ganz für mich zu behalten und hier verkümmern zu lassen, und ich mag es ziemlich gern. Es ist wirklich gut gemacht.«
Sie waren im Büro im Souterrain der Greville-Tenison-Galerie in der Dover Street in Mayfair. In dem dunkelrot gestrichenen, fensterlosen Raum roch es stark nach Zigarrenrauch. Die Wände waren mit übervollen Bücherregalen bestückt, und das einzige Tageslicht kam aus einer kleinen Deckenluke in der Ecke. Greville musste Mitte bis Ende fünfzig sein, er war groß und schlank, und ein Wust strähniger, strohblonder Haare fiel ihm in die Stirn. Leger gekleidet, in einem rosafarbenen Oberhemd, dessen oberster Knopf offen stand, und sandfarbener Hose, saß er zusammengesunken in einem mit Samt bezogenen Sessel hinter seinem Schreibtisch, das Gesicht außerhalb des matten Lichtkegels der kleinen Messingschreibtischleuchte. Es
war später Vormittag, doch er hielt ein Kristallglas mit Whisky in der Hand und strich von Zeit zu Zeit mit seinen langen, blassen Fingern über das Muster, als suche er Trost.
In den ersten Minuten hatten sie über das Geschäft mit der Kunst im Allgemeinen gesprochen, denn Donovan hatte das Gefühl, Greville brauchte eine sanfte Einleitung, ehe sie versuchte, ihn direkt zu Rachel Tenison zu befragen. Während sie sich unterhielten, hörte sie Schritte auf dem Holzboden über sich, und aus der Galerie im Erdgeschoss, wo Minderedes mit Selina sprach, Grevilles hübscher blonder Assistentin, drang das Gemurmel von Stimmen herunter.
»Wie lange kannten Sie Rachel Tenison, Mr. Greville?«, fragte Donovan und beschloss nach einem Blick auf ihre Armbanduhr, dass es an der Zeit war, in medias res zu gehen.
Greville seufzte und verdrehte ganz kurz seine kleinen, blauen Augen, als wäre schon die Erwähnung des Namens schmerzhaft. »Über zehn Jahre. Sie hat zunächst bei Christie’s für mich gearbeitet, und dann beschlossen wir, uns zusammenzutun.« Er sprach langsam und überlegt, als wäre jedes Wort eine Qual.
»War es eine gleichberechtigte Partnerschaft? Ich meine …« Donovan versuchte, ihre Worte vorsichtig zu wählen.
»Die Galerie gehörte uns zu gleichen Teilen. Aber eigentlich wollen Sie doch wissen, was eine Frau wie Rachel dazu veranlasst hat, mit einem alten Sack wie mir ein Geschäft zu eröffnen? Eine berechtigte Frage. Wahrscheinlich hatte ich damals die Kontakte und die Erfahrung, und sie hatte das Geld. Aber sie lernte schnell. Schon bald hatte sie eine ganze Handvoll Kunden. Sie war erstklassig, keine Frage.« In seinen Worten war keine Bitterkeit, nur wehmütige Trauer.
»Dann
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