Wer Böses Tut
… zehn Blatt weißes Papier, A4. Das ist alles. Hat offensichtlich niemanden besonders interessiert.« Sie hörte am anderen Ende ein zweites Telefon klingeln. »Bleib dran«, sagte er. »Es ist Simon. Ich frage ihn mal, ob er noch weiß, was es war.«
Bei dem Lärm aus dem Fernseher konnte sie nicht verstehen, was gesagt wurde, aber es dauerte nicht lange, bis Tartaglia wieder da war.
»Er ist betrunken«, sagte er angewidert. »Und da ist noch etwas. Er hat verdammtes Glück, dass er jetzt nicht hier ist.«
»Warum?«, fragte sie, überrascht über seinen harten Tonfall. »Was hat er gesagt?«
»Er konnte sich überhaupt nicht an die Bücher erinnern, nur an die Papiere. Er meinte, sie seien völlig unwichtig und wir verplempern nur unsere Zeit. Als ich ihm klarmachte, dass wir beurteilen, was wichtig ist und was nicht, antwortete dieser hirnlose Idiot: ›Es war nur irgendwas, woran sie arbeitete.‹ Er ahmte Turners lässige Sprechweise nach: ›Eigentlich nichts. Es ging irgendwie um ein Mädchen namens Dolores.‹«
Zwanzig
»Ich glaube einfach nicht, dass dir das hier nichts gesagt hat, dass du die Verbindung nicht gesehen hast.« Donovan starrte Turner ungläubig an und wedelte mit den Blättern vor seiner Nase herum, obwohl sie sie ihm am liebsten ins Gesicht geworfen hätte. Es waren die Fotokopien der Papiere, die in Catherine Watsons Wohnung sichergestellt worden waren. Zehn in doppeltem Zeilenabstand getippte A4-Seiten aus einem Kapitel, das Watson über Swinburne geschrieben hatte und in dem sie nicht nur reichlich aus dem Gedicht Dolores zitiert, sondern auch dessen Bedeutung diskutiert hatte.
Im Zuge des üblichen Procederes der Spurensicherung war Watsons Wohnung mehr oder weniger auseinandergenommen, der Inhalt abtransportiert und katalogisiert worden. Alle Gegenstände, bei denen man eine teure forensische Analyse für angebracht hielt, wurden ins Labor geschickt und endeten schließlich dort in sicheren Lagerräumen als Beweismittel, falls es je zu einem Prozess kommen sollte. Der Rest, inklusive der Papiere, war an einem anderen Ort eingelagert worden, falls man sie zu einem späteren Zeitpunkt nochmals brauchte. Es hatte Karen Feeney und Dave Wightman den ganzen Vormittag gekostet, sie ausfindig zu machen.
Turner zog eine Grimasse und schüttelte langsam den Kopf, ganz so, als könne er seine eigene Dummheit nicht glauben. »Sam, Himmel noch mal, das war vor über einem Jahr. Für uns war das einfach nur ein Stapel Papier, an dem Catherine Watson arbeitete. Warum sollte ich eine Verbindung zu eurem Gedicht
herstellen? Du hast mir doch gesagt, es heißt Herrin der Pein. «
»Nein, habe ich nicht«, sagte sie wütend und sah ihm in die Augen. Sie hoffte, er würde jetzt nicht ihr die Schuld für seinen Fehler in die Schuhe schieben.
Es war Samstag, früher Nachmittag, und Turner ließ sich zum ersten Mal an diesem Tag im Büro blicken. Er lehnte neben ihrem Schreibtisch an der Wand, die großen Hände unbehaglich in den Hosentaschen. Alles schien an ihm abzuperlen, als wären seine Gedanken und seine Prioritäten ganz woanders. Zur Abwechslung hatte er sich mal rasiert und ein frisches, hellblaues Hemd angezogen, das die Farbe seiner Augen aufnahm. Wenn sie nicht so sauer auf ihn gewesen wäre, hätte sie ihm gesagt, wie gut er aussah. Die Papiere immer noch in der Hand, sah sie ihn wortlos an und überlegte, ob der Stress, unter dem er stand, seine Fähigkeiten eingeschränkt hatte oder ob er immer so ungenau arbeitete. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass Tartaglia je ein einziges Detail eines Falles vergessen würde, und sei es noch so lange her. Aber nicht jeder war wie Tartaglia.
Turner lehnte sich zu ihr hinüber und breitete die Hände aus. »Weißt du, aus heutiger Sicht ist es brillant, Sam. Aber du musst das verstehen: Damals hatten die Papiere absolut keine Bedeutung für den Fall. Überhaupt keine. Sie gehörten Watson, waren irgendetwas, woran sie gearbeitet hat. Sie hatten nichts mit ihrem Mörder zu tun.«
Sie legte die Seiten auf den Schreibtisch. Zähneknirschend musste sie zugeben, dass er in dem Punkt Recht hatte, auch wenn sie nicht sicher war, ob Tartaglia es genauso sehen würde. Es gab keinen Grund, warum Turner oder Gifford die Papiere und Bücher in Watsons Wohnung genauer hätten anschauen müssen. Es hätte ihnen nichts weiter gesagt, dass Catherine Watsons Spezialgebiet die Englische Literatur des neunzehnten
Jahrhunderts war, und auch
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