Wer braucht denn schon Liebe
geschickten Bewegung ließ Karen seine Hand von ihrer Wange ins Leere rutschen. »Schon gut«, erklärte sie störrisch. »Ich muss jetzt los.«
»Wohin?«
Sie zuckte bloß mit den Achseln. »Immer nach Norden, wie Hannibal über die Alpen. Schließlich muss ich ja irgendwann irgendwie nach Hause.«
»Ich stehe in deiner Schuld«, erklärte Lorenzo feierlich. »Du hast mich vor der Polizei gerettet, und ich helfe dir, nach Hause zu kommen.«
»Ach?«
»Ja.« Mit ernstem Gesicht schnallte Lorenzo seinen Gürtel ab und zog aus einer Innentasche einen Fünfzig-Euro-Schein hervor, den er Karen in die Hand drückte.
»Mehr kann ich nicht für dich tun. Aber für die Busfahrkarte nach Neapel wird es reichen.« Hastig schulterte Lorenzo seinen Rucksack. Das flüchtige Lächeln, das er Karen zum Abschied schenkte, verriet die Unsicherheit, die er unerwartet spürte. Die Deutsche war äußerlich bestimmt nicht sein Typ, der Reaktion in seiner Leistengegend nach zu urteilen wurde es jedoch Zeit, getrennte Wege zu gehen. Allerhöchste Zeit sogar.
»Ciao.« Lorenzo gönnte Karen kaum einen Blick, als er davoneilte, die Straße entlang zum nächsten Dorf.
Verblüfft starrte Karen auf das Geld in ihrer Hand.
»Danke!« In aller Ruhe faltete sie den Schein, bevor sie sich in den Ausschnitt griff und das Geld im BH versteckte, einem der wenigen Aufbewahrungsorte, die ihr noch verblieben waren. Dann machte sie sich achselzuckend an die Verfolgung. Lorenzo wanderte mit hohem Tempo und hatte bereits einen beachtlichen Vorsprung herausgearbeitet.
»He! Warte auf mich!«
An seinem Rücken konnte sie keine Reaktion ablesen. Lorenzo lief mit unverminderter Geschwindigkeit weiter.
Was hat den denn gestochen?
Ein kräftiger Sprint, dann hatte sie ihn eingeholt. »Warum rennst du denn so?«, japste sie vorwurfsvoll. »Willst du mich etwa abhängen?«
»Ja.«
»Aber wir haben doch den gleichen Weg.«
»Aber nicht dasselbe Ziel.« Scharf und schnell kam der Satz. Karen warf Lorenzo einen überraschten Blick zu.
»Stimmt was nicht?«
Lorenzo wirkte genervt, als er abrupt vor ihr stehen blieb. »Ich habe entschieden, dass wir beide, du und ich, ab sofort wieder getrennte Wege gehen. Du solltest dich besser danach richten.« Mit finsterem Gesicht nahm er seinen Schritt wieder auf.
»Geschwollener Stuss«, kommentierte Karen unbeeindruckt.
Lorenzo zog scharf die Luft in die Nase. »Dein Ton gefällt mir nicht«, sagte er mühsam beherrscht.
»Das mag ja sein. Aber jetzt werd mal wieder locker. Ich brauche nämlich deinen Rat.« Lorenzo, dem niemals zuvor in seinem Leben eine Frau so unverschämt respektlos entgegengetreten war, knurrte Unverständliches.
»Als Mann«, fügte Karen schnell hinzu und spürte plötzlich ihr Herz im Hals schlagen.
Was soll das? Lass ihn gehen. Letzte Nacht wollte er dich noch umbringen, schon vergessen?
Als Karen sich an ihren einsamen Marsch vom Vortag mit all seinen Schrecknissen erinnerte, verwarf sie vorerst alle Bedenken, die sie gegen Lorenzo hegte. Bislang hatte ihr Italienabenteuer unter keinem guten Stern gestanden. Mit ihm an ihrer Seite fühlte sie sich zumindest nicht mehr ganz so allein. Auch wenn sie es später vielleicht bereute – im Augenblick war das entschieden das kleinere Übel.
Immerhin hatte Karen erreicht, dass Lorenzo abermals stehen blieb. »Du brauchst also meine Hilfe als Mann«, wiederholte er genüsslich.
»Deinen Rat«, beeilte sie sich ihn zu verbessern.
»Also habe ich dir mit meiner Kusstechnik imponiert, und ich soll dir Unterricht geben?« Lorenzo wirkte wie umgewandelt. Die gelben Sprenkel in seinen Augen sprühten vergnügte Funken, als er auf sie herabsah.
»Ich möchte, dass du mir hilfst, mich an Kevin zu rächen«, reagierte sie betont kühl.
Einen Moment lang sah es so aus, als ob er sie packen und schütteln würde, doch wirklich nur einen Moment lang. »Wozu soll das gut sein?«, brummte er stattdessen.
»Jede Frau, die von einem Mann gedemütigt wird, sinnt auf Rache.«
»Du liest entschieden zu viel Yellowpress!« Lorenzo verbarg sein Lächeln hinter einem Pokerface. Sie ahnte ja nicht, dass er es war, für den die bunten Illustrierten dieser Welt zur Pflichtlektüre gehörten.
»War ja nur so eine Idee.«
»Und was hast du dir vorgestellt?«
»Nichts, das ist es ja. In bin der friedfertigste Mensch der Welt …« Sie stockte kurz, als Lorenzo übertrieben zu hüsteln begann.
»Von Rache verstehe ich nichts. Aber du als … äh … als
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