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Wer braucht denn schon Liebe

Wer braucht denn schon Liebe

Titel: Wer braucht denn schon Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marte Cormann
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Punkten krabbelte Karen das Knie hinauf. Ungehalten schnippte sie ihn mit dem Finger weg.
    Wo Lorenzo bloß so lange blieb? Eigentlich hatte er nur schnell etwas zu essen organisieren wollen, wie er sich ausdrückte. Wohlweislich hatte Karen nicht nach Details gefragt.
    Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß, pflegte ihre Oma zu sagen. Wie häufig hatte Karen sich schon gewünscht, viel weniger zu wissen.
    Der beißende Hunger vom Morgen hatte sich in einen stillen Winkel ihres Magens verzogen und wartete dort auf seine Chance, endlich gestillt zu werden. Der würzige Duft nach Lammbraten und Spanferkel, den der Wind zu ihr herübertrug, stellte eine harte Herausforderung für ihre Selbstbeherrschung dar.
    Karen dachte an den Geldschein, den sie im BH versteckte. Seit Lorenzos Verschwinden war mehr als eine Dreiviertelstunde vergangen. Eine bedenklich lange Zeitspanne, wenn man wie sie außer einem Stück verschimmelten Brotes noch nichts gegessen hatte. Ob er sich heimlich aus dem Staub gemacht hatte?
    Nach weiteren zehn Minuten kam Karen zu dem Schluss, dass es keinen Sinn machte, länger zu warten. Lorenzo war verschwunden und würde es auch bleiben. Er hatte sich verdrückt, wie es in Gangsterkreisen wahrscheinlich üblich war. Vermutlich durfte sie noch froh sein, dass sie die Begegnung mit ihm überlebt hatte.
    Trotzdem verspürte sie ihm gegenüber so etwas wie Dankbarkeit, als sie den Euroschein hervorzog, den er ihr geschenkt hatte, und ihn zwischen den Fingern rieb. Unfassbar, welche Bedeutung Geld gewann, wenn man keins besaß. Rückwärts krabbelte Karen aus ihrem Versteck, den Schein fest in den Fingern. Während sie betont unauffällig in Richtung Restauranteingang schlenderte, hielt sie nach Lorenzo Ausschau, doch sie konnte ihn nirgends entdecken. Karen fühlte, wie ihr das Herz schwer wurde, und ermahnte sich zur Vernunft. Lorenzo war eine Zufallsbekanntschaft, nichts weiter.
    Sie wollte sich gerade in die Speisekarte vertiefen, die direkt neben der Eingangstür des Restaurants hing, als ihr ein verblichener Zettel auffiel, der mit einer simplen Heftzwecke in der Nähe befestigt war: der Fahrplan einer Buslinie. Einmal täglich nach Neapel, hin und zurück.
    Nachdenklich betrachtete Karen das Geld in ihrer Hand. War es nicht Verschwendung, davon essen zu gehen? Wie sollte sie jemals zum deutschen Konsulat in Neapel gelangen, um sich neue Papiere zu verschaffen, wenn sie das einzige Geld, das sie besaß, für sinnlose Völlerei ausgab?
    Ihr knurrender Magen erinnerte Karen an seine Existenzberechtigung, doch sie hatte beschlossen, ihn anderweitig zu füllen. Die immer lauter lärmende Hochzeitsgesellschaft würde es bestimmt nicht bemerken, wenn sie sich an ihrem Buffet bediente.
    Vorsichtig zog Karen sich wieder in den Schatten der Bäume und Büsche zurück, die den Restaurantgarten umgaben. In einem kleinen Ort wie diesem fiel jeder Fremde doppelt auf. Auch wenn noch niemand sie bemerkt zu haben schien, war es sicherer, sich nicht offen zu zeigen.
    Sie spürte, wie ihr vor Aufregung der Schweiß ausbrach, während sie angespannt auf ihre Chance lauerte.
    Musik. Der Brauttanz. Das Buffet verwaist.
    Zwei Schritte bis zum Spanferkel. Dazu noch Obst und ein Stück Käse. Geschafft!
    Zurück in ihrem Versteck atmete Karen erleichtert auf. Doch sie musste erst abwarten, bis ihr Herz ruhiger schlug, bevor sie in der Lage war, den ersten Bissen Fleisch zu nehmen.
    Nie wieder werde ich stehlen, nie wieder. Ich schwöre es.
    Erschrocken fuhr sie herum, als hinter ihr das Laub raschelte. Ein Junge, höchstens fünf Jahre alt, kämpfte sich durchs Buschwerk auf sie zu. Anklagend waren seine großen braunen Augen auf das Essen in ihrer Hand gerichtet. Das Kind trug kurze dunkelblaue Hosen und ein kurzärmeliges weißes Hemd mit einer roten Seidenfliege am Kragen. Ohne Zweifel gehörte es zu der Hochzeitsgesellschaft, die sein Fehlen jedoch noch nicht bemerkt zu haben schien.
    Hatte er Karen beim Diebstahl beobachtet?
    »Psst!« Bittend legte Karen den Zeigefinger auf die Lippen, damit er sie nicht verriet.
    Der Kleine stand einfach bloß da und starrte sie an.
    »Psst, avanti, subito. Buona notte. Arrivederci.«
    Der Junge zuckte nicht einmal mit den Wimpern.
    Karen betrachtete ihn nun aufmerksamer. War der arme Kleine etwa taub? Demonstrativ drehte sie ihm den Rücken zu. Diese Sprache verstand er bestimmt.
    Prompt begann der Junge zu schreien. Laut und durchdringend.
    Karen handelte aus einem Reflex

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