Wer braucht denn schon Liebe
im Nachhinein anders machen würde. Mit ihren männlichen Arbeitskollegen weniger zimperlich umgehen – bestimmt sogar. Zum Beispiel dann, wenn diese mal wieder in ihrem Zuständigkeitsbereich wilderten, um sich die Projekte unter den Nagel zu reißen, bei denen der Erfolg sich bereits abzeichnete. Wie damals bei der Umstrukturierung der Oelker-Werke. In solchen Momenten hätte sie ihnen besser in die Eier treten sollen – statt nur auf die Füße.
Ansonsten war ihr Leben dank ihrer Lebensdevise no love, no trouble bisher ganz wunderbar wohltemperiert verlaufen.
Wobei sie wieder bei Kevin landete. Ihrem schlimmsten Fehler überhaupt.
Und vielleicht hätte ich einmal mit Lorenzo schlafen sollen.
Das Messer schwebte gefährlich nah an ihrem Ohr. Das wutverzerrte Gesicht eines Mannes mit schwarzem Schnauzbart schob sich in ihr Blickfeld. Erregt warf er ihr einen Schwall wüster Beschimpfungen an den Kopf, die sie zum Glück nicht verstand.
»Niente capice«, gab Karen sich cool. Doch ihr Herz sehnte sich verzweifelt nach Rettung.
Lorenzo, du Blödmann. Wo steckst du? Kriegst du denn nicht mit, was hier abläuft? Wenn dir an meiner Freundschaft auch nur für einen Cent etwas liegt, dann ist jetzt der Moment für den weißen Schimmel gekommen. Du weißt schon, die Szene, in der der Held seine Lady im letzten Moment aus den Klauen des Unholds errettet. Um dann mit ihr glücklich und zufrieden bis an ihr seliges Ende zu leben.
An diesem Punkt kehrte Karen ernüchtert zur Realität zurück. Heutzutage verteidigten Frauen sich in jeder Lebenssituation selbst. Und falls doch mal ein Schimmel zu ihrer Rettung benötigt wurde, mussten sie ihn unter Garantie selbst organisieren.
Lorenzo war eben der, für den sie ihn vom ersten Augenblick an gehalten hatte. Ein ganz gewöhnlicher kleiner Ganove. Egoistisch von den Zehen bis zu den Haarspitzen. Ein Mann, dem seine Freiheit über alles ging.
Ein Mann, der sich seines Lebens erfreute, während sie gerade dabei war, ihres zu verlieren.
Der böse Mann dachte an sich selbst zuerst.
Nein, von Lorenzo war keine Hilfe zu erwarten. Erleichtert atmete Karen auf, als ihre mittlerweile erschöpfte Kontrahentin die Fingernägel aus ihrem rechten Oberarm zog. Ihr schwante Böses, als der zornige Schnauzbart mit dem Messer Signora nun liebevoll auf die Füße half, sie schluchzend in seine Arme sank und er sie zum Trost herzhaft auf die Lippen küsste.
Der nahezu identische Ehering an ihren Fingern vertrieb die letzten Zweifel. Signora und Mackie Messer waren ein Paar.
So viel also zum Thema Objektivität. Was nun?
Noch immer lag Karen auf dem Rücken – um sie herum ein dicht geschlossener Ring ihr feindlich gesonnener Hochzeitsgäste, die ihrer ausgelassenen Festtagsstimmung nachtrauerten. Keiner von ihnen schien im Augenblick für sachliche Argumente besonders aufgeschlossen.
Leise stöhnend richtete Karen sich auf. Sie spürte jeden einzelnen Knochen im Leib. Ihr rechter Oberarm war von blutigen Kratzspuren gezeichnet, die wie Feuer brannten. Trotzdem erfüllte sie insgeheim auch ein tiefes Gefühl der Genugtuung. Sie konnte sich nicht erinnern, sich jemals zuvor öffentlich geprügelt zu haben. Nicht einmal als Kind. Doch sie hatte den Fight durchgestanden, ohne aufzugeben. Und ehrlich gesagt: Darauf war sie stolz.
Ein Gefühl, das sich sofort verflüchtigte, als der Messerschwinger anklagend erst auf sie, dann auf den Busch zeigte, hinter dem sie sich vor kurzem noch versteckt hatte.
»Pagare!«, befahl er, indem er gleichzeitig Daumen und Zeigefinger heftigst gegeneinander rieb.
Verstand Karen richtig? Sie hatte sich wegen ein paar abgeknickter Zweige an einem Busch geschlagen, dessen Namen sie nicht kannte, den der Wirt aber nun von ihr bezahlt haben wollte?
Nichts da. Rechnen konnte sie selber.
Und die körperlichen Schäden, die sie während des Kampfes erlitten hatte, übertrafen bei weitem die Schäden an diesem blöden Strauch.
»Niente pagare. Non moneta«, widersprach Karen heftig und unterstrich ihre Worte mit einer energischen Handbewegung. Tumultartiges Stimmengewirr folgte, aus dem sie für sich das Wort polizia filterte.
»Si, si, polizia!«, bestätigte sie aufgeregt. Und weil anscheinend niemand auf sie hören wollte, gleich noch mal, diesmal lauter: »Si, polizia, voglio polizia. Polizia!!« Das letzte Wort schrie sie so laut heraus, dass für einen Moment verblüffte Ruhe eintrat.
»Voglio polizia«, wiederholte sie fest, mit einem wohl
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