Wer braucht denn schon Liebe
einmal äußerlich entsprach Karen dem überlieferten Bild einer Fürstin – einer Königin der Herzen, wie die Medien junge moderne Prinzessinnen neuerdings so gern etikettierten.
Aber genauso wie er wusste, dass er sich auf Dauer seinen Verpflichtungen als Thronfolger des winzigen Mittelmeer-Fürstentums nicht entziehen konnte, so glaubte er auch an die Macht des Schicksals – so pathetisch es auch klingen mochte. Und wenn das Schicksal sie beide zusammengeführt hatte, dann musste seine Begegnung mit Karen einen tieferen Sinn ergeben. Aber welchen? Darüber grübelte er nun schon eine ganze Weile nach.
Vielleicht hieß das Zauberwort ja einfach Glück?
Glück auf Zeit.
Für ein paar Stunden oder Tage.
Bevor sich ihre Wege wieder trennten.
Alles, was passierte, war wahr. Manchmal nur für einen Augenblick.
»Du willst mich doch nicht etwa küssen?!« Karens energische Stimme riss ihn aus seinen Gedanken. Verblüfft sah er auf sie herunter und blickte in ihre weit aufgerissenen Augen, die keine Spur von Benommenheit mehr zeigten.
»Äh … wieso eigentlich nicht?«, stotterte er etwas verlegen. Sein Mund schwebte in der Tat nur noch eine knappe Handbreit über dem ihren, doch er spürte, wie ihr Körper sich unter ihm versteifte.
Strategisch betrachtet befand Karen sich in der eindeutig ungünstigeren Ausgangsposition. Er lag oben, sie unten. Und obwohl er sehr schlank war, nahm sein Gewicht ihr fast den Atem. In dieser Lage war es verlockend, ihn einfach küssen zu lassen, um der Sache zu einem schnellen Ende zu verhelfen.
Nicht, dass sie Lorenzo nicht attraktiv fand. Im Gegenteil. Er strahlte kraftvolle Geschmeidigkeit und Sensibilität aus. Eine verwirrende Mischung, die ihr Herz schneller schlagen ließ. Und aus der Nähe betrachtet luden seine tiefbraunen Augen wie zwei heilsame Moorseen zum Eintauchen ein.
Bei diesem Bild begann Karen haltlos zu kichern. Beleidigt über die uncharmante Abfuhr zog Lorenzo sich von ihr zurück, um mit finsterem Gesicht darauf zu warten, dass sie sich beruhigte.
»Entschuldige, bitte, aber ich …«, japste Karen atemlos, »… ich … bin so schrecklich unromantisch. Und wenn du mich mit deinen Hundeaugen so ansiehst.« Erneut krümmte sie sich vor Lachen.
»Noch nie, hörst du, noch nie habe ich eine Frau hündisch oder unterwürfig angesehen! Noch nie!«, raunzte Lorenzo so wütend, wie Karen ihn noch nicht erlebt hatte.
Die Erinnerung drängte sich mit Kraft in sein Bewusstsein zurück. Unendliche Wut und Schmerz drohten ihn fast zu überwältigen.
Gleichzeitig hasste er sich dafür, dass er seiner kaltherzigen Mutter fünf Jahre nach ihrem Tod immer noch Macht über sich und seine Gedanken einräumte. Aber manche bittere Erfahrung im Leben konnte man vielleicht verdrängen, vergessen konnte man nie – und schon gar nicht verzeihen.
Mit einer müden Geste der Hilflosigkeit schaute er Karen an, deren Lächeln im Gesicht wie festgefroren saß. Selbstverständlich verstand sie ihn nicht. Wie sollte sie auch. Lorenzo ballte die Hände zu Fäusten, schob sie tief in seine Hosentaschen und fasste einen Entschluss.
»Meine Mutter war der Ansicht, man müsse Kinder wie Hunde erziehen. Also lernte ich wie unser Rottweiler auf Zuruf zu reagieren. Platz! Bei Fuß! Gib Pfötchen! So lauteten die gängigen Befehle. Streicheleinheiten gab es nur, wenn ich bedingungslos gehorchte. Andernfalls setzte es Schläge oder …« Er sprach mit ausdrucksloser Stimme, doch seine mahlenden Kieferknochen verrieten seine innere Anspannung.
Mitfühlend blickte Karen zu ihm hoch. Lorenzo wagte ein Lächeln, das jedoch misslang. Also nahm sie seine Hand und hielt sie, bis er weitersprechen konnte.
»Nun, eines Tages, ich glaube, ich war gerade mal fünf, als es passierte, da warf ich beim Spielen eine Vase herunter, die auf der Stelle in tausend Stücke zersprang. Durch meine Mutter wusste ich, wie wertvoll sie war, und aus lauter Angst vor ihr passierte mir – nun, ich machte mir in die Hosen.« Heftig stieß er die Luft aus. Absichtlich wich er ihrem Blick aus. Er missbrauchte sie als Therapeutin, aber es tat einfach gut, sich endlich alles von der Seele zu reden.
»Du weißt, wie man Hunden abgewöhnt, ihr Geschäft im Hause zu erledigen?«, fragte er und schaffte es, dass sein Ton beiläufig klang.
»Äh … nicht direkt. Meine Oma mag keine Haustiere.«
»Oma?!«, schmunzelte er. Der Ausdruck war ihm nicht geläufig. Doch sofort wurde er wieder ernst. »Nun, man stößt sie
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