Wer braucht denn schon Liebe
können.
Wofür?
Lorenzo hätte ihr zugehört. Sie getröstet. Vielleicht sogar verstanden. Was bei einem Mann nun wirklich fast schon mehr war, als eine Frau verlangen durfte. Aber er war sensibel, gebildet und irgendwie – ritterlich.
Ja, ritterlich, wiederholte Karen in Gedanken überrascht. Warum sonst hatte er sie aus den Fängen der Polizei befreit, obwohl er selbst diese mied wie die Pest? Weshalb sonst hatte er trotz seiner Stauballergie stundenlang mit ihr uralte Kirchenbücher gewälzt?
Ein Kuss von ihm hat mehr Nerven in mir zum Vibrieren gebracht, als ein Stromschlag es könnte.
Aber das hatte nichts mit Ritterlichkeit zu tun, sondern nur mit gutem Sex.
Sex?
Karen seufzte schwer. Guter Sex war immer noch die unterhaltsamste Methode, den Kopf wieder freizubekommen. Aber leider hatte sich das einzige männliche Gegenstück, das dafür gegenwärtig in Frage kam, aus einer Laune heraus von ihr verabschiedet.
Tja, so sind die Männer. Wenn’s wirklich drauf ankommt, knicken sie ein.
Karen hob den Blick, als sich aus der Gegenrichtung das Geräusch von Motorrädern näherte. Sie ging bereits ziemlich links außen am Straßenrand, doch automatisch trat sie noch einen weiteren Schritt zur Seite, um Platz zu machen. Irritiert stellte sie fest, dass die beiden Fahrer keinen Zentimeter zur Seite wichen, sondern genau auf sie zuhielten.
»He! Vorsicht! Seht ihr mich denn nicht?!«
Der Erste erwischte sie beinahe am Arm. Der Zweite deutete wenigstens einen Bogen an, als er an ihr vorbeiknatterte. Beide trugen die typische dunkle Lederbekleidung und Helme, die ihre Gesichter verbargen. Doch der zartere Körperbau des zweiten Fahrers ließ Karen sofort an eine Frau denken.
»Danke, dass ihr mich am Leben gelassen habt, ihr Holzköpfe!«, brüllte Karen den beiden hinterher. Das hätte sie sich besser erspart.
Obwohl er mit seiner Maschine einen Höllenlärm veranstaltete, schien der Mann ihre Worte verstanden zu haben. Er änderte jäh die Richtung und steuerte erneut auf Karen zu.
Was auch geschieht, behalt immer die Nerven.
»He, du Pinscher! Wenn du glaubst, mich mit dieser Nummer einschüchtern zu können, hast du dich geschnitten!«, brüllte sie gegen den Lärm an.
Der Pinscher verzog keine Miene und hielt weiter auf sie zu. Seine Freundin bremste scharf ab, um seine Aktion aus sicherer Distanz zu verfolgen.
Karen warf einen verstohlenen Blick in den breiten Graben, der sich neben der Straße entlangzog. Einen Meter oder mehr ging es dort bestimmt runter. Der Motorradtyp oder sie.
»Ich warne dich! Wenn du auf mich draufhältst, wird gleich etwas passieren, was dir bestimmt nicht gefällt!«
Viel zu viele Worte. Er war schon so dicht heran, dass Karen hinter dem reflektierenden Schutzglas die Augen erahnen konnte. Im letzten Moment trat sie beiseite. Wie ein Torero im Kampf mit dem Stier.
Die schwere Maschine donnerte an ihr vorbei, flog ein Stück weit durch die Luft und krachte dann, mit dem Hinterreifen voran, in den Graben. Ihr Angreifer stieß einen gurgelnden Schrei aus, als die Maschine auf ihn stürzte. Die grotesk anmutende Körperstellung des Mannes dort unten im Graben weckte in Karen augenblicklich Assoziationen an Intensivstationen, Rehakliniken oder gar Bestattungsinstitute.
Als Karen hinter sich hörte, wie die zweite Maschine zu Boden krachte, duckte sie sich instinktiv, um einen möglichen Angriff von hinten abzuwehren. Doch die Frau, die nun neben sie an den oberen Rand des Grabens trat, dachte nicht daran. Ohne den Helm abzunehmen, warf sie einen langen Blick hinunter auf die reglose Gestalt.
»Edwin, geht’s dir gut?«, rief sie mit leicht schweizerischem Akzent. Wie Karen fand, eine grobe Fehleinschätzung der Situation. Selbst einem medizinischen Laien wie ihr war bei Edwins Anblick klar, dass es ihm nicht gut gehen konnte.
Edwin antwortete nicht, was die Frau zu einem höchst zufriedenen Lächeln inspirierte. Dafür aber brauste nun aus Richtung Pompei ein schwarzer PKW heran. Ohne noch einen Blick an Edwin zu verschwenden, rannte die Frau zu ihrer Maschine und verschwand mit Kavaliersstart in Richtung Pagani.
Die türmt!
Karens Schrecksekunde dauerte nur kurz. Nur mit der Frau als Zeugin würde sie beweisen können, wie der Unfall sich abgespielt hatte. Der Mann brauchte nur aus seiner Bewusstlosigkeit zu erwachen. So wie der gestrickt war, würde er ihr die Schuld für den Unfall in die Schuhe schieben. Und da er verletzt war und sie nicht, lag es doch für
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