Wer braucht denn schon Liebe
Nummer, die er mit ihr schieben wollte. In einem stillen Wald oder auf einem abgelegenen Parkplatz. Irgendwo, wo sie ungestört waren.
Nervös knabberte Karen die herausstehenden Käseecken an ihrem Panino ab.
»Haben du Nummer von Motorrad der Frau?«, wiederholte der Mann seine Frage, im Ton deutlich schärfer.
»Ach, Sie meinen das Kennzeichen?!« Karen fiel ein Stein vom Herzen. Erleichtert ließ sie sich gegen das Rückenpolster fallen. »Dass ich nicht gleich darauf gekommen bin!«
Erst als sie im Rückspiegel seinen warnenden Blick auffing, beeilte sie sich ihm zu antworten.
»Nein, habe ich nicht«, sagte sie hastig. »Es ging alles so unglaublich schnell. Als die Frau Ihren Wagen bemerkte, sprang sie aufs Motorrad und brauste davon. Obwohl ich noch rief: ›He! …‹« Sie stockte, als neben ihr die Kindersicherung klackte und der Wagen so scharf abgebremst wurde, dass sie nach vorne flog und der Gurt ihr den Atem nahm.
»I’ll take care for the accident. You’ll go there!« Mit dem ausgestreckten Finger zeigte ihr Entführer hinüber zu einem Wiesenplatz unterhalb einer kleinen Gruppe von Olivenbäumen, idyllisch gelegen an einem munteren kleinen Flusslauf, ganz in der Nähe der Bahngleise.
»Go, go, go!«, drängelte er nervös, als Karen nicht so schnell begriff, was sie tun sollte. »Go there!«
Das war ein Rauswurf!
Sicherheitsgurt lösen, Papiertüte schnappen, raus.
Zwei Sekunden später fand Karen sich draußen auf der staubigen Straße wieder, während der Wagen wendete und mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit an ihr vorbeibrauste, zurück in die Richtung, aus der sie gerade gekommen waren.
Als Antonio Ferraris in den Rückspiegel sah, stand diese hübsche, aber im Augenblick ziemlich verwirrte Deutsche immer noch mitten auf der Fahrbahn und knabberte an ihrem Brot.
An manchen Tagen hasste er seinen Job. Vor allem, seitdem der alte Fürst ihn dazu verdonnert hatte, während des kleinen Ausflugs seines Sohnes, wie er es geringschätzig nannte, heimlich über Lorenzo zu wachen.
Von dem Zeitpunkt an, als diese Karen Rohnert aus Deutschland Lorenzos Weg gekreuzt hatte, hinterließen die beiden, wo immer sie auftauchten, eine Straße der Verwüstung. Vor allem der »entliehene« Einsatzwagen der Polizei hatte Antonio einige Mühe gekostet, um Schaden vom Fürstenhaus abzuwenden.
Und nun dieser Unfall. Karen hatte ihn nicht verschuldet, so viel hatte Antonio beobachtet. Sollte aber irgendein findiger Reporter irgendwann einmal eine Verbindung zwischen Lorenzo und Karen herstellen, würde er mit einem Quentchen Glück auch auf diese Geschichte stoßen – und eine prächtige Schlagzeile daraus entwickeln. Besser, Antonio zog die Frau aus dem Verkehr und kümmerte sich selbst um den Motorradfahrer.
Ja, ja, Antonio, der Schutzengel.
Er hoffte sehr, dass er das Richtige tat, wenn er Karen nun ihrem Schicksal überließ.
Und Lorenzo.
Neun
Unschlüssig sah Karen die Straße hinauf und herunter.
Verdammt einsame Gegend hier.
Bis auf das Zirpen der Grillen war kein Geräusch zu hören, weit und breit kein Auto zu sehen. Nichts als Staub und flirrende Hitze. Wenn sie von den kniehohen Wiesen und den Olivenhainen unten am Fluss einmal absah. Die Landschaft atmete Leichtigkeit, wo daheim am Niederrhein geordnete Strukturen dominierten.
Noch immer schwirrte Karen der Kopf. Sie versuchte zu verstehen, was sie in den vergangenen Stunden alles erlebt hatte, kam aber zu dem Schluss, dass ihr dafür die richtigen Antworten auf die richtigen Fragen fehlten.
Wobei mit Sicherheit die Kernfrage überhaupt lautete: Was bezweckte der Revolverheld damit, sie hierher zu verschleppen und auszusetzen? Und was erwartete sie unten am Fluss?
Karen schirmte die Augen mit der Hand ab, um nicht von der Sonne geblendet zu werden. Hohes Gras, Olivenbäume und Hochspannungsleitungen. Mit dem geruhsam dahinfließenden Fluss dahinter.
Und mitten im Wasser – Karen kniff die Augen zusammen – schwamm jemand. Ohne darüber nachzudenken, setzte sie sich in Bewegung.
Es war ein Mann.
Sie zögerte, blieb stehen, riss überrascht die Augen auf. Konnte es wirklich Lorenzo sein?
Aber das ist ausgeschlossen. Wir haben uns in Pagani getrennt. Er kann gar nicht hier sein. Der Zufall wäre zu groß.
Ihr Herz begann aufgeregt zu hämmern. Wenn das da unten im Fluss wirklich Lorenzo war, würde sie sich bei ihm entschuldigen, sofort und auf der Stelle. Nur, damit er sie nicht noch einmal allein ließ. Ohne ihn fühlte
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