Wer braucht schon Liebe
lächele.
Wir machen es uns in der Bibliothek gemütlich und zünden das Feuer an. Er gibt mir die weißen Spielfiguren, wie er es früher immer getan hat. Aber ich drehe das Brett um.
» Du wirst einen Vorsprung brauchen.«
Er lacht, betrachtet das Brett kurz und schiebt seinen Bauern dann zwei Felder vor. Meine Finger schließen sich um einen meiner Springer. Er sieht überrascht auf, denn früher war die Eröffnung mit den Springern seine Strategie. Ich konzentriere mich auf das Brett. Er zieht mit einem weiteren Bauern. Ich versuche, hinter seinen Angriffsplan zu kommen und gleichzeitg meinen eigenen auszuarbeiten. Als Erstes schlage ich seinen Läufer. Drei Züge später schlage ich seine Dame und bin überrascht, wie einfach das war.
» Ich habe ganz vergessen, wie gut du bist«, sagt er.
Damals war ich nie gut. Jahrelange imaginäre Schachpartien, der jahrelange Einsatz der Springer und so zu denken wie er, das hat mich so » gut« gemacht.
» Drei Runden«, sagt er, als er verliert.
Sein Spiel wird immer besser, so als würde ihm wieder einfallen, wie es geht. Ich erinnere mich daran, wie sehr ich diese Schlachten genossen habe.
Und dann, wie aus heiterem Himmel, frage ich: » Also, die Stylistin? Was sollte das?« Ich habe keine Ahnung, wieso mir das plötzlich in den Sinn gekommen ist. Und ich wünschte, ich könnte es zurücknehmen. Ich sehe nicht hoch. Er hält mitten in der Bewegung inne, sein Turm hängt in der Luft. Ich spüre, wie seine Augen auf mir ruhen, und schließlich blicke ich auf.
» Ich habe deine Mutter vermisst. Und es nicht zugegeben.«
Ich denke an Louis. Und an David. Und wie merkwürdig es ist, dass mein Leben sich immer wieder mit dem meines Vaters überschneidet. Vielleicht hatte Gran recht.
» Ich war nicht untreu«, sagt er. » Aber ich fühle mich, als wäre ich es gewesen.«
» Aha«, sage ich und weiß, was er meint.
Aber er versteht mich falsch. » Alex, niemand wird jemals deine Mutter ersetzen.«
» Ich weiß.« Genauso sicher, wie ich weiß, dass nie jemand David ersetzen wird. Man kann jemand so Wichtigen nicht einfach verdrängen, auch wenn man es noch so sehr versucht.
Am Montag, in der DART , frage ich Rachel, wie Bobby sich eingewöhnt.
» Wer?«
Ich werde rot. » Davids Bruder.«
Sie mustert mich ein wenig zu lange. » Ich weiß es nicht.«
Plötzlich brauche ich eine Entschuldigung, um über ihn zu reden. » Ich dachte nur, dass sie ihm einen Hund kaufen sollten, weißt du. Dann würde er sich bestimmt leichter einleben.«
» Warum tust du das?«
» Was?«
» David zur Sprache bringen.«
» Tu ich doch gar nicht. Es war nur so eine Idee für Bobby.«
» An den du nicht denken würdest, wenn du nicht an David denken würdest.«
Wenn jemand mich durchschaut, dann Rachel. » Okay. Ich gebe zu, dass ich manchmal an ihn denke. Aber nur, weil ich hoffe, dass es ihm gut geht.«
» Es geht ihm gut.«
» Wirklich? Ich meine, wie kommt er da drüben zurecht? Geht es ihm gut?«
Sie sieht mich an, als wäre das vielleicht keine so gute Idee. » Ja, es geht ihm gut.«
Plötzlich reicht mir das nicht. » Wie gut geht es ihm denn? Ich meine, hat er Freunde? Wie ist die Schule?«
Sie sieht mich eindringlich an. » Willst du das wirklich?«
Ich schließe die Augen. Atme tief durch. » Nein.« Ein Moment vergeht. » Manchmal wünschte ich nur, ich könnte ihm sagen, wie leid es mir tut. Das ist alles.«
» Aber du hast gesagt …«
» Ich weiß. Ich hätte nur gern, dass er es weiß. Ohne dass es von mir kommt, weißt du?« Ich sehe sie an. » Meinst du, wenn du Mark erklären würdest, dass es mir echt leidtut, dass er es weitersagen würde?«
Sie sieht mich eindringlich an. » Alex. Wenn es nicht von dir kommt, ist es keine Entschuldigung.«
Ich seufze. » Ich weiß.« Ich sehe aus dem Fenster aufs Meer – stürmisch, grau und kalt. Es ist nicht der Ozean, der uns trennt, aber es fühlt sich an, als wäre es so.
» Warum schreibst du ihm nicht? Wenn du schreibst, kannst du ihm immerhin sagen, was du auf dem Herzen hast, ohne dass du direkt mit ihm sprechen musst.«
Mein Magen verkrampft sich. » Nein.« Denn ich kann die alten Wunden zwischen uns nicht wieder aufreißen. Und er würde es auch nicht wollen.
» Ich simse dir seine Adresse trotzdem.«
Ich seufze. Sehe aus dem Fenster.
» Schau nicht hin«, flüstert Rachel, » aber da drüben ist eine Frau, die dich die ganze Zeit anstarrt.«
» Wo?«
» Auf der anderen Seite, zwei Sitze weiter
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