Wer braucht schon Liebe
sehen«, sagt Marsha. Denn vor Marsha kann man nichts verbergen.
» Mir geht es gut«, sage ich und niese im unpassendsten Moment.
» Wenn ich mit dir fertig bin, dann geht es dir noch viel besser.«
Ich starre sie an. Was hat sie überhaupt hier zu suchen? Sie ist nicht meine Mutter.
Sie legt den Handrücken auf meine Stirn. » Ist dir heiß und kalt?«
Ich nicke.
» Verstopfte Nase?«
» Musst du noch fragen?«, antworte ich mit eklig nasaler Stimme.
» Kopfschmerzen?«, fragt sie.
Ich nicke, aber nur, weil sie mir womöglich ein paar Schmerztabletten besorgen wird.
» Bin gleich wieder da«, sagt sie und verschwindet. Minuten später kommt sie mit einem Tablett voller Zeug zurück. Sie stellt es auf den Nachttisch. » Okay, nimm das.« In einer Hand hält sie mir Schmerztabletten und Vitamine hin; in der anderen ein Glas Orangensaft. Der Saft ist selbst gepresst, warm und süß, mit ein bisschen Fruchtfleisch darin. Er schmeckt genau so, wie meine Mum ihn früher gemacht hat.
» Hast du den gemacht?«
Sie hebt eine Augenbraue. » Du glaubst doch nicht, dass ich Barbara um dieses Vergnügen bringen würde. Also, halt jetzt das Gesicht über die Schüssel und leg dir das Handtuch über den Kopf, dann atme durch die Nase ein.«
» Ich muss nur schlafen.«
Sie steht mit verschränkten Armen und hochgezogenen Augenbrauen vor mir. Und ich weiß, dass ich sie nur loswerde, wenn ich tue, was sie von mir verlangt.
Ich sehe immer mehr aus wie eine Pennerin. Meine Haare sind ungekämmt und kleben mir am Kopf. Seit Tagen liege ich im selben T-Shirt und in derselben Jogginghose herum. Ich könnte eine Dusche brauchen. Und ein oder zwei Fenster öffnen. Aber ich schaffe es nicht, mich aus dem Bett zu quälen.
Am nächsten Tag taucht der Rockstar auf.
» Wie geht es deiner Erkältung?«, fragt er leichthin, als wäre das das ganze Problem. Eine Erkältung.
Ich zucke mit einer Schulter.
» Viel O-Saft«, verschreibt er. Rockstars benutzen keine richtigen Wörter wie » Orangensaft«.
» Hör mal, ich bin nur gekommen, um dir zu sagen, dass ich für ein paar Tage nach London muss.«
Beinah hätte ich gelacht. Er ist so leicht zu durchschauen.
» Marsha bleibt hier.«
» Weiß sie, dass Babysitting jetzt zu ihrer Stellenbeschreibung gehört? Vielleicht solltest du ihr eine Gehaltserhöhung anbieten.«
Er lächelt verlegen. » Ich dachte nur, falls du mit jemandem reden willst. Natürlich ist auch Mike hier. Und Barbara. Für alles, was du brauchst. Egal, was für ein Problem du hast.« Wie steht es mit einem gebrochenen Herzen? Haben sie dafür etwas zur Hand?
» Toll«, sage ich.
Am Abend reist er ab. Warum bleiben?
Am nächsten Morgen klopft es an der Tür. Sie öffnet sich und Marsha erscheint. Und David. Er sieht blass aus und ernst.
» Oh, Gott«, sage ich und fühle, wie mich jegliche Energie verlässt. Im Bett sitzend, ziehe ich die Knie an meine Brust und schlinge die Arme darum.
» Ich lass euch beide jetzt allein«, sagt Marsha, und ich frage mich, warum der Rockstar für Security bezahlt, wenn sie hier ist.
David kommt herein. Er schließt die Tür hinter sich. Er kommt auf mich zu.
» Ich weiß, was du da tust«, sagt er. » Und ich lasse es nicht zu.«
Mein Herz pumpt wie eine kaputte Maschine.
Er bleibt stehen. » Ich liebe dich«, sagt er.
Die Welt scheint stillzustehen. Ich sehe ihn an, wie er da steht, und ich weiß mit absoluter Sicherheit nicht nur, dass ich ihn liebe, sondern dass ich ihn mit jeder Faser meines Körpers liebe, mit jedem Haar auf meinem Kopf, mit jedem Atemzug. Und darum muss ich sagen: » Ich liebe dich nicht.« Mit geschlossenen Augen würge ich es hervor. Denn es ist besser, plötzlich entzweizubrechen, als langsam in tausend Stücke zu zerfallen. Besser für uns beide.
Aber er sieht mich nur an. » Ich glaube dir nicht.«
» Das ist ganz schön arrogant.«
» Nein. Das ist ganz schön ehrlich. In etwas mehr als einer Woche ziehe ich weg. Wir sollten das Beste aus der Zeit machen, die uns noch bleibt.«
Ich muss es zerstören. Ich muss einfach. » Warum hältst du dich für so etwas Besonderes?«, frage ich aufgebracht und tue so, als wäre seine Arroganz nicht zum Aushalten. Dabei weiß ich, was ihn so besonders macht. Sein Lächeln. Seine Augen. Sein Gesicht. Wie zufällig die paar Sommersprossen, die er hat, verteilt sind. Sein Sinn für Humor. Seine Ehrlichkeit. Eine Ehrlichkeit, die es mir so schwer macht. Er kommt ein paar Schritte auf mein Bett zu,
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