Wer braucht schon Liebe
Jetzt.«
» Jetzt?«
» Jetzt.«
Er lacht. » Du steckst voller Überraschungen. Okay. Gib mir zwanzig Minuten.«
Ich frage mich, ob ich bis dahin an Unterkühlung gestorben bin. Ich setze mir die Kapuzen meiner beiden Kapuzenpullis auf. Ich reibe die Hände aneinander und dann meine Arme hoch und runter. Ich jogge auf der Stelle. Endlich entdecke ich ihn, wie er an den Strand kommt. Unsicher blickt er sich um. Ruft meinen Namen. Ich nähere mich ihm von hinten.
» Hey.«
» Mein Gott!«
Ich lache.
» Was machst du um elf Uhr nachts am Killiney Beach?«, fragt er. » Was läuft da zwischen dir und dem Meer?«
» Gehen wir.«
Schnell laufen wir vom Strand zu einem wartenden Taxi.
Beim Einsteigen streifen sich unsere Hände. Er sieht mich an. » Du bist eiskalt. Schon wieder.«
Ich erinnere mich an eine Szene, die ich vergessen will, eine Szene, die mich an den Strand getrieben hat. » Küss mich.«
Er zögert nicht. Sein Mund ist warm und für eine Sekunde vergesse ich.
Dann löse ich mich von ihm. » Danke.«
Er lacht. » Gern geschehen.«
» Wohin?«, fragt der Taxifahrer unbeeindruckt.
Louis gibt ihm die Adresse. Dann legt er mir den Arm um die Schultern und küsst mich noch einmal.
***
Wir steigen aus dem Taxi. Louis zieht seine Lederjacke aus und gibt sie mir.
» Wenn das so weitergeht«, sagt er, » hab ich bald keine Klamotten mehr.«
Das Haus, ein georgianischer Palast, ist lila angestrahlt. Am Tor stehen Türsteher. Sie tragen Anzüge, als wären sie den Blues Brothers entsprungen. Sie mustern mich von oben bis unten. Im Vergleich zu den anderen eintreffenden Gästen sehe ich in meinen zwei Kapuzenpullis, meiner Jogginghose und den UGG s verwahrlost aus. Louis legt den Arm um mich und schiebt mich vorwärts. Sie öffnen das Tor und wünschen uns einen schönen Abend.
Wir gehen die Einfahrt hinauf, unter unseren Füßen knirscht der Kies. Von der Rückseite des Hauses, wo ich hinter der Garage das Dach eines Partyzeltes entdecke, dringt Musik zu uns.
» Also«, sagt Louis und mustert mich langsam von oben bis unten, als würde ich ihn erheitern. » Kein kurzer Rock. Kein Make-up. Total wirre Frisur. Anscheinend versuchst du mich wirklich zu beeindrucken.«
Ich zupfe an seinem T-Shirt, auf dem » National Pornographic« steht. » Wen versuchst du damit zu beeindrucken?«
Er sieht auf sein T-Shirt und dann mit einem spitzbübischen Blick wieder zu mir. » Meine Mum.«
Ich denke: Hier ist jemand, der keinen Teil meiner Seele will.
» Dir ist doch klar, dass du dich in Gesellschaft eines wirklich gefährlichen Typen befindest.« Er hebt eine Augenbraue. » Halb Vampir, halb Werwolf.«
» Wahrscheinlich erklärt das die zusammengewachsenen Augenbrauen.«
Er prustet los. » Du bist witzig.«
Wir kommen zum Partyzelt. Ich behalte seine Jacke an. Er behält mich die ganze Nacht für sich selbst. Schickt Rob und den anderen Typen wieder weg, als sie herüberkommen. Er rückt näher und näher, bis er eine Strähne meiner Haare zu fassen kriegt, sie sich um den Finger dreht und langsam wieder abwickelt. Dann küsst er mich und mein Kopf ist wieder leer, der Schmerz weg. Zu früh lässt er mich wieder los.
» Bin gleich wieder da«, sagt er.
Meine Augen folgen ihm durch die Menge. Er sagt etwas zu dem Gastgeber der Party. Sie sehen zu mir herüber. Dann sehen sie sich wieder an. Dann ist er wieder da, nimmt meine Hand und zieht mich zum Haus. In der Eingangshalle steht kein Ritter in schimmernder Rüstung.
Im Schlafzimmer schließt er die Tür und kommt langsam auf mich zu, den Blick fest auf mich gerichtet. Ich sehe ihn an. Warte, bis er bei mir ist. Mit den Fingern fährt er mir durch die Haare und umschließt dann meinen Hinterkopf. Fast berühren seine Lippen meine. Er sagt: » Als ich dich das erste Mal gesehen habe …«
Ich unterbreche ihn. » Hast du Kondome dabei?«, frage ich, als wäre ich total abgebrüht, als hätte ich das schon eine Million Mal gemacht und als hätte ich keine Angst. Ich sage es, als hätte ich das Kommando.
Er lacht wieder. » Mein Gott, ich liebe dich.«
Und da ist sie, genau hier, die Art von Liebe, die ich brauche: eine Liebe, die ablenkt, die den Schmerz betäubt, die nichts verspricht. Eine Liebe, die keine ist.
Ich schließe die Augen und lasse es geschehen.
Es ist schnell vorbei. Ich frage mich, warum alle so ein Aufhebens darum machen. Er liegt neben mir, seine Brust hebt und senkt sich, hebt und senkt sich. Ich kenne diesen Menschen nicht.
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