Wer braucht schon Zauberworte? (German Edition)

Die Eisbrücke ist schnell erschaffen – habe ja Übung darin. Auf der anderen Seite, presse ich mich an die Steinmauer und hole erst mal Luft. Nun beginnt der Aufstieg. Die Steine sind glücklicherweise so zerfurcht, dass ich mühelos Halt finde. Meter für Meter kämpfe ich mich hoch. Es gibt ein kleines Fenster, das zu einer Abstellkammer führt, durch das ich in die Burg gelangen will. Blitzschnell schlüpfe ich hindurch und lasse mich in einer Rolle zu Boden fallen. Die Kammer kenne ich nur zu gut. Hier habe ich mich oft vor Lord McConnor versteckt, wenn Junus nicht in der Burg war. Jetzt muss ich nur noch unentdeckt ins Verlies gelangen.
    Schnell husche ich durch die Gänge. Ich kenne mich hier glücklicherweise ganz gut aus und weiß, wo sich eigentlich nie jemand herumtreibt.
    Als mich Lord McConnor in meine Zelle geführt hat, standen zwei Hexer als Wache dort unten. Vor dem Abgang zum Verlies höre ich Männer miteinander sprechen. Schnell singe ich „
Sleep in heavenly peace
“ in Gedanken. Lautes Poltern sagt mir, dass sie eingeschlafen sind. Zaubern zu können, ist echt praktisch. Plötzlich höre ich die Stimme von Lord McConnor, die aus dem Verlies dringt. Scheiße, Rückzug. „ Wake me up when it`s all over “. Die Männer rühren sich im nächsten Moment wieder.
    Die Türe zum Verlies schlägt auf. „
AUF DIE BEINE IHR FAULEN NICHTSNUTZE
“, brüllt der Lord. Das Herz schlägt mir bis zum Hals, als er an meinem Versteck, einem kleinen Seitengang, der im Dunkeln verborgen liegt, vorbeigeht.
    Als die Luft rein ist, lasse ich sie erneut einschlafen. „
I`am bound to you
“, fesselt und knebelt sie daraufhin.
    Ich spüre meinen Bruder schon, da bin ich noch nicht einmal durch die Tür hindurch. So schnell ich kann, laufe ich den Gang entlang und stoppe vor einer Zelle. „
With arms wide open
“, schwingt die Türe auf.
    Mein Bruder hebt schwach den Kopf. Sie haben ihn ganz schön zugerichtet. Zuerst reagiert er nicht, aber als ich ihn schüttle, reißt er die Augen auf. „Hope! Bist du es wirklich? Ist das ein Trick?“, will er wissen. Dabei fällt sein Kopf immer wieder haltlos zurück.
    „Nein, ich bin eine Halluzination, die gekommen ist, um dir eine Pediküre zu verpassen. Natürlich bin ich es wirklich“, flüstere ich aufgebracht.
    „Okay, überzeugt. Bist du ganz alleine hier? Wo ist Beliar?“
    „Schhhh“, ermahne ich ihn, während ich „
Free me
“ singe. Seine magischen Fesseln fallen ab und werden zu normalen Seilen. Sehnsuchtsvoll umarmen wir uns. „Komm, befreien wir die anderen“, flüstere ich.
    „Nein, warte.
Ich
mache das. Ich weiß jetzt, dass er Waffen aus dem 21. Jahrhundert einsetzt, um ihre Zellen zu sichern. Es gibt Sprengfallen.“ Wow, was für ein kranker Typ. Deshalb konnten die Hexer ihre Gefährtinnen nicht befreien. So etwas kennen sie nicht. Er hat ihnen wahrscheinlich gesagt, die Dinger gehen los, wenn sie Magie anwenden oder so.
    „Kannst du sie entschärfen?“, will ich wissen.
    „Ja.“ Wir treten aus der Zelle. Ich muss ihn anfangs noch stützen, da er ziemlich schwach ist, aber er ist stark und kämpft sich vorwärts. Nach ein paar Schritten schafft er es aber, auch ohne fremde Hilfe zu laufen.
    Junus macht vor jeder Zellentür dasselbe Zeichen. Sie springen nacheinander auf. Mir stockt der Atem. Überall begegnet uns dasselbe Bild. Frauen, die teilweise so verängstigt sind, dass sie nicht rauskommen wollen. Es ist gut, dass ich dabei bin, denn zu einer Frau haben sie mehr vertrauen. Nach ein paar Überredungskünsten kommen alle freiwillig aus ihren Zellen heraus. Sie sehen vollkommen fertig aus. Überall haben sie Narben und teilweise frische Verletzungen. Man sieht ihnen an, dass sie immer wieder vergewaltigt wurden. Blanker Hass steigt in mir auf. Damit ist jetzt ein für alle Mal Schluss.
    Schon sechs Frauen haben wir rausgeholt, da kommen Männer hereingestürmt. Es sind die Hexer, die schon die Hand gegen mich und meinen Bruder erheben, um Zauber wirken zu lassen, aber manche Frauen flüstern die Namen ihrer Gefährten. Schlagartig wird ihnen klar, dass wir hier gerade ihre „Schwachpunkte“ befreien. Schätze nun kämpfen wir alle auf derselben Seite.
    „Raus hier“, ruft Junus und zieht mich mit sich.
    „Warte Junus, da ist noch jemand“, hauche ich atemlos.
    Neben uns fällt eine Frau zu Boden, die ihren Gefährten noch nicht gefunden hat. Junus hilft ihr auf. Seine kurze Ablenkung nutze ich, um zurückzulaufen.

Zauberlist