Wer braucht schon Zauberworte? (German Edition)
ziehe ich meine Jacke zu.
Ein Taxi, das wir an der Hauptstraße aufgabeln, bringt uns in die Stadt. Tiberius ist etwas angespannt. Ich glaube, er war noch nicht so oft hier.
Aufmunternd greife ich nach seiner Hand und drücke sie. „Entspann dich. Ich beschütze dich mit meinem Leben.“ Das war nicht sarkastisch gemeint. Naja ein bisschen vielleicht. Er lächelt kopfschüttelnd.
Das Taxi hat unser Ziel erreicht. Vor dem großen Betongebäude steigen wir aus. Tiberius kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus. Okay, er war noch nie zuvor hier.
„Warte hier auf mich. Dort muss ich alleine hineingehen.“
„Warte Hope, Beliar sagte, ich darf dich nicht aus den Augen lassen.“
„Davon muss er nichts erfahren. Vertrau mir. In dem Gebäude bin ich sicherer als hier draußen. Sieh niemanden an. Sprich nicht. Setz dich einfach nur auf die Parkbank und lies das.“ Ich drücke ihm eine Zeitung in die Hand. Er dreht sich irritiert im Kreis, weil er ein Flugzeug am Himmel entdeckt hat.
Ich stoppe ihn. „Tiberius, sieh mich an. Dir kann überhaupt nichts passieren. Ich bin in ein paar Stunden wieder zurück. Vertrau mir. Beliar wird nichts erfahren, das schwöre ich.“ Er nickt, setzt sich und liest. Ich lächle – irgendwie süß, wenn diese starken „Keltischen Schränke“ doch mal Angst haben.
Als ich zurück bin, sitzt ein Obdachloser neben Tiberius und labert ihn voll. Der Kelte starrt vor sich hin und sagt kein einziges Wort.
Lächelnd trete ich an beide heran, lasse ein paar Münzen, von dem Geld, das mir Beliar gegeben hat, in den Becher des Penners fallen und ziehe Tiberius hoch. „Alles okay?“, will ich wissen.
„Ich habe kein Wort gesagt“, beschwichtigt er. Ich lächle. „Komm, wir gehen.“
Als wir zurück am Mittelalterlichen Steinkreis sind, ist die Zeit gekommen, meinen Begleiter abzuschütteln. Ich zögere, seinen Arm zu ergreifen, mit dem er mir aufs Pferd helfen will.
„Was hast du?“, will Tiberius wissen.
„Ich muss mal für kleine Mädchen“, lüge ich.
„Kann das nicht warten, bis wir zurück sind?“
„Fürchte nicht.“
„Also gut, aber mach schnell“, raunt er. Grinsend gehe ich tiefer in den Wald hinein. „Geh bloß nicht zu weit weg Mädchen oder ich komme dich holen“, ruft er mir hinterher. Er blufft nur.
Schnell verstecke ich mich hinter einem Baum und summe Frank Sinatras „
Me and my shadow
“. Dabei zeichne ich die Rune nach, die Beliar gemacht hat und im Nu habe ich meinen Zwilling erschaffen.
Hope Nummer 3 steht vor mir. Schnell ziehe ich ihr das T-Shirt an, das ich Beliar als Geschenk mitgebracht habe und verstecke es unter ihrem Umhang. Sie glotzt mich dabei die ganze Zeit an. Irgendwie gruslig.
Ich sage ihr, sie soll gleich einschlafen, wenn sie auf dem Pferd sitzt und nicht wieder aufwachen. Ich hoffe, das verschafft mir genügend Zeit. Meine Schwester nickt, also glaube ich, sie hats kapiert. Schnell platziere ich noch die Nachricht für Beliar an ihrem Shirt. Sein Gesicht würde ich zu gerne sehen.
Hoffentlich klappt das auch. Ich gebe ihr einen leichten Schups in die Richtung, aus der Tiberius ungeduldig meinen Namen ruft. Dann spitze ich die Ohren.
„Wieso hat das so lange gedauert … Schon gut, kein Grund beleidigt zu sein.“ Ich höre die Laute eines Pferdes. Das lief ja wie am Schnürchen – jetzt nichts wie weg hier.
Das Pferd ist schnell gehext. Ich hab das mit der Magie schon ganz gut drauf. In Windeseile trägt es mich unter meinem ständigen Trällern von Whitney Houstons: „
I wonna run to you
“ und dem Gedanken an meinen Bruder vorwärts. Ich hab keine Ahnung, wo wir sind, aber ich vertraue auf mein Herz und darauf, dass mich meine Magie zu meinem Bruder führt.
Ich bin zu langsam, das dauert ewig. Schnell verpasse ich dem Tier noch ein paar Pferdestärken.
Stundenlang reite ich so durch Wälder und Ebenen, bis ich endlich vertraute Umgebung erkenne. Die Burg von Lord McConnor tut sich bei Einbruch der Dunkelheit vor mir auf. Schnell steige ich ab und lasse das Pferd verschwinden. Den Rest des Weges laufe ich. Der Waldrand ragt nahe an eine Seite des Burggrabens heran. Von hier aus ist es leichter, unentdeckt einzudringen.
Ich verweile kurz im Schutz des Waldes. Ich weiß, wann die Wachablöse stattfindet. Das geschieht immer bei Einbruch der Dunkelheit. Ich erkenne, dass sich die Männer, die an der Burgmauer bis jetzt Wache hielten, zurückziehen. Das ist mein Moment.
Schnell sprinte ich zum Burggraben.
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