Wer braucht schon Zauberworte? (German Edition)
meint er. Da mich schon bald nichts mehr wundert, frage ich gar nicht erst nach, was er denn jetzt mit meinen Tränen anfangen will.
„
Komm her Schwester. Zieh das T-Shirt aus“, verlangt er. Ich knie mich ihm gegenüber auf die Erde und tue, was er verlangt. Mit einer Hand streift er sich selbst sein T-Shirt ab, während er irgendein, mir unverständliches, Zeug murmelt.
Auf dem Boden um uns herum leuchtet ein heller Stern auf – nein kein Stern – ein Pentagramm. „Mutter Erde. Nimm dies als Geschenk in dir auf.“ Junus leert den Becher, in dem ich mein Blut und die Tränen vermute, vor uns in die Erde. „Wind, berühre ihren Körper.“ Eine Windböe erfasst mich. Ich schließe die Augen, weil ich das Gefühl habe, sanfte Berührungen auf meiner Haut zu spüren. „Feuer, erinnere sie an ihren ersten Gedanken.“ In meinem Kopf flackern Bilder eines lodernden Feuers auf. „Wasser, reinige ihre Haut.“ Als hätte er einen Schalter umgelegt, beginnt es zu regnen.
Mein Bruder kommt näher, nimmt meine Wangen in seine Hände und küsst mich auf die Stirn. „Empfange die Magie Schwester.“ Ein Blitz schlägt neben mir ein, aber ich habe keine Angst. Die Berührungen meines Bruders sind wie ein Anker, an den ich mich klammere.
Ich fühle die Energie, die durch meinen Körper fließt. Schlagartig verändert sich meine Wahrnehmung. Luft, Feuer, Wasser, Erde spüre ich nun so intensiv, wie nie zuvor. Es ist fast so, als würden Wurzeln aus mir herausragen, die tief ins Erdreich ranken, um mich stärker mit der Welt zu verbinden. Mein Atem geht stoßweise. Im Blick meines Bruders ist Stolz und Liebe gleichermaßen verwoben. Auch die Verbindung zwischen uns wird mir nun viel bewusster.
Die Emotionen schwappen über mich wie Wellen, in denen ich zu ertrinken drohe. Junus gibt mir Kraft, damit ich nicht den Verstand verliere.
Einen Wimpernschlag später ebbt der Wind ab. Nur noch einzelne Regentropfen fallen auf meinen erhitzten Körper, der dennoch zittert.
„
Steh auf Hexe“, verlangt mein Bruder und zieht mich hoch. In meinem ganzen Körper kribbelt es angenehm. Ich lächle, weil sich eine innere Ruhe bis in den letzten Winkel meines Leibes ausbreitet.
„
Du bist gar nicht ohnmächtig geworden“, stellt Junus verblüfft fest. „Ich war mir sicher, der Magieschub würde dich in die Knie zwingen.“
„
So wie du sicher warst, dass der Schwan mein Symbol wird?“, spotte ich. Junus‘ Lachen hallt in die Nacht hinaus.
„
Komm tanz mit mir Hexe“, lockt er mich.
„
Wir haben gar keine Musik“, bemängle ich. Junus lächelt, malt Zeichen in der Luft, was zur Folge hat, dass Melodien erklingen. Es sind irische Lieder, die mir bekannt vorkommen.
Mein ganzer Körper will nur eins – sich bewegen. Sogleich gebe ich dem Drang nach und tanze mir die Seele aus dem Leib. Ich wirble herum. Stampfe wild in den Boden und umrunde das Feuer immer wieder. Zum ersten Mal in meinem Leben fühle ich mich total befreit.
Ich war so in meinem Element, dass ich gar nicht bemerkt habe, wo mein Bruder abgeblieben ist. Er starrt mich fasziniert an, rauft sich die Haare und stößt ein: „Ich kann es kaum erwarten, dich Zauber vollbringen zu sehen. Dein Tanz allein, hypnotisiert mich förmlich“, aus.
„
Dann hör auf, mich anzuglotzen und tanz mit“, schlage ich vor. Das lässt er sich nicht zweimal sagen. Seine geschmeidigen Bewegungen ziehen mich in den Bann. Ich vermag es kaum, die Augen von ihm abzuwenden.
Bis über beide Ohren grinsend, zieht er mich mit sich. Gemeinsam tanzen wir um das Feuer herum und lachen befreit. Die Musik treibt mich in ungeahnte Höhen. Beinahe wie in Trance, verschwimmt die Umgebung immer mehr. Obwohl ich nichts getrunken habe, bin ich wie in einem Rauschzustand.
Es ist so heiß. Der Schweiß rinnt mir in Bächen über den Körper. Junus scheint es ebenso zu gehen. Er entledigt sich seiner Hose, tanzt stattdessen nur in Boxershorts. Ich lache und streife mir die Hose ebenfalls ab. Ich weiß nicht, wie lange wir getanzt haben, aber mich verlassen langsam meine Kräfte. Erschöpft sinke ich auf die Erde vor dem Feuer.
Das ist meine letzte Erinnerung an diese Nacht. Ich erwache erst, als die Mittagssonne schon hoch am Himmel steht. Mein Kopf ist auf die Brust meines schlafenden Bruders gebettet, der mich fest im Arm hält.
Zum ersten Mal traue ich mich, meine Tätowierung am Bauch näher zu betrachten. Das Tribal ist unglaublich fein gestochen. Obwohl es großflächig ist,
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