Wer den Himmel berührt
Cassie sie in eine Decke und klemmte ihr ein Kissen unter den Kopf.
Mit Tränen in den Augen sah sie dem Wagen nach.
Sam, der sich von seinem Sohn losgerissen hatte, sah Cassie auf den Stufen vor dem Krankenhaus stehen und sich die Augen wischen. Er ging hinaus, um einen Arm um sie zu legen, doch als er die Tür erreichte, war Cassie bereits verschwunden.
Eine Woche später erhielt sie in der Funkzentrale der Fliegenden Ärzte einen Brief.
Als ich an dem Morgen, nachdem ich Dich durch diese mitternächtliche Aktion geführt hatte, wach geworden bin, habe ich vor mich hin gesagt: »Cassandra Clarke. Die kenne ich doch.« Es kann keine zwei Ärztinnen in Australien mit einem solchen Namen geben. Und die Erinnerungen sind zurückgekehrt. Es ist lange her, Doktor, aber ich hoffe, Du nimmst meine Entschuldigung an. Ich bin nicht stolz darauf, wie ich Dich behandelt habe. Ich hatte Angst, Du würdest eine Szene machen, und ich weiß nie, wie ich mit solchen Dingen umgehen soll.
Meine Frau und ich haben uns schließlich doch scheiden lassen, und ich bin wieder verheiratet. Ich habe einen zweijährigen Sohn, die Freude meiner mittleren Jahre, im selben Alter wie meine Enkelin. Im Lauf der Jahre habe ich mich immer wieder gefragt, was wohl aus Dir geworden sein mag.
Jetzt weiß ich zumindest, was Du beruflich tust. In dieser Nacht hast Du gute Arbeit geleistet, Doktor. Ich gratuliere Dir. Du hattest schon immer die Anlagen zu einer wirklich guten Ärztin.
Falls Du jemals nach Melbourne kommst, schau vorbei. Dann trinken wir einen zusammen.
Dr. Raymond J. Graham
45
I ch habe das Gefühl«, sagte Fiona, »als würde mir niemals etwas anderes beschieden sein als das übliche Los einer Frau.«
»Und was ist dagegen einzuwenden? Du hast drei Kinder … schöne Kinder, könnte ich noch dazusagen.«
»Cassie, meine Liebe, du bist positiv voreingenommen. Und ich bin hingerissen von den Kindern. Ich bin mit dem einzigen Mann verheiratet, den ich je geliebt habe, und ich bin außerordentlich glücklich. Aber ist das alles? Soll ich mein ganzes Leben stellvertretend leben, aus zweiter Hand durch meinen Mann und meine Kinder?«
Cassie musterte ihre Freundin, mit der sie auf der Veranda von Tookaringa Eistee trank. Die Behandlungen waren abgeschlossen, und Sam und sie würden in einer halben Stunde zurückfliegen. Sie blieben bei Sprechstunden nicht über Nacht, wenn es nicht absolut notwendig war, weil Olivia Sam nachts bei sich zu Hause haben wollte. Cassie hatte den Verdacht, daß sie eine heftige Auseinandersetzung darüber gehabt hatten, und Sam hatte sich mehr oder weniger entschuldigt, als er sie darum gebeten hatte, möglichst selten über Nacht zu bleiben.
»Du mußt doch ständig beschäftigt sein, mit deinen Kindern und Blake …«
»… und Steven auch, verstehst du. Blake ist die Hälfte der Zeit unterwegs, kauft Land und Vieh, überwacht das Geschehen auf seinen Außenposten und erfüllt sich seinen Traum. Seit er diesen Hubschrauber gekauft hat, bekomme ich ihn nicht mehr zu sehen. Jetzt spricht er auch noch davon, sich eine Cessna zuzulegen. Es ist nicht etwa so, daß ich einsam wäre – ich habe mehr als genug zu tun. Versteh mich nicht falsch, Cassie. Mir macht das alles riesigen Spaß. Ich liebe mein Leben. Und doch habe ich das Gefühl, einen Teil meiner selbst verloren zu haben. Ich tue nichts mehr einfach nur für
mich
. Es sieht so aus, als würde ich ständig anderen Freude bereiten, Dinge für andere tun.«
»Ich glaube«, sagte Cassie lächelnd, »das nennt man Umsorgen, und du bist schon immer ein Mensch gewesen, der dazu geneigt hat, andere zu umsorgen, Fi, selbst damals, als du unterrichtet hast.«
»Ich wünschte, das könnte ich wieder tun. Es hat mir solchen Spaß gemacht. Oder fliegen, obwohl es für mich nie gleichwertig mit dem Unterrichten war. Ich meine, es hat mir derart enormes Vergnügen bereitet zu sehen, wie die Augen eines Kindes aufleuchten, wenn ein neuer Gedanke oder eine neue Frage auftauchen. Danach sehne ich mich zurück. Und ich wünsche mir so sehr, den Aborigines zu helfen. Ich habe nicht die Zeit und nicht die Energie, aber wie sehr ich mir doch wünsche, in diesen Missionen Schulen zu gründen. Das ist mein Traum.«
»Sieh dir andererseits an, was aus Marian und Anna geworden ist«, sagte Cassie. »Du hast ihnen eine Schulbildung verschafft, du hast ihnen in die Hand gegeben, was sie brauchen, um sich in die Welt der Weißen einzugliedern, und was haben sie
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