Wer den Himmel berührt
Cassie. »Mir macht das nichts aus.«
»Warte nur, bis du alles gesehen hast«, fuhr Fiona fort. »Dort oben, wo die Rennbahn angelegt worden ist, hat Blake einen Speisesaal errichten lassen, und die Köche werden diese Woche in drei Schichten wechseln. Er glaubt, daß manche Besucher überhaupt nicht schlafen werden! Die Bar ist mit mehr als sechstausend Flaschen Bier bestückt, mit Champagner und Rum – mit allem, was du willst.«
»Sechstausend Flaschen? Das wird ja die reinste Alkoholorgie.«
»Schließlich muß es für viereinhalb Tage reichen, und es werden weit mehr als tausend Leute kommen. Die ersten sind schon am Dienstag gekommen, haben Zelte errichtet, Spiele organisiert, den Dieselgenerator angeschlossen und dafür gesorgt, daß genug Holz und Wasser da ist. Es ist wirklich ziemlich aufregend, daß all diese Leute von so weit her zu einer Party kommen, die eine Woche dauert.«
»Du weißt doch, daß Australier vor keiner Mühe zurückscheuen, wenn es um Rennen geht. Ich fang gleich an – je eher ich meine Arbeit hinter mir habe, desto eher kann ich mich entspannen und meinen Spaß haben.«
Die Sprechstunde lief routinemäßig ab, von einer zersplitterten Hand abgesehen. Eine Aborigine-Frau, die offensichtlich Schmerzen hatte, sie jedoch stoisch hinnahm, legte ihre Hand auf den Tisch und sah Cassie an.
»Wie ist denn das passiert?« fragte Cassie, während sie sich die Finger genauer ansah.
Die Schwarze sagte kein Wort.
»Ein Kampf mit Eichenknütteln?« fragte Cassie. Bei solchen Kämpfen waren schlimme Verletzungen üblich. Im Lauf der Jahre war sie vielleicht ein dutzendmal darauf gestoßen.
Die Frau nickte.
Die beiden letzten Glieder des Zeigefingers waren böse zerschmettert. Cassie sah sie sich genau an und wandte sich dann an die Schwarze. »Ich werde den Finger abschneiden müssen.«
Aus dem ausdruckslosen Blick in den Augen der Frau schloß Cassie, daß sie sie nicht verstanden hatte. »Sehen Sie, dieses zweite Glied hier ist so übel zersplittert, daß es nicht mehr zu gebrauchen ist und Ihnen nur Schmerzen bereiten wird. Der Finger wird schlaff herunterhängen und Ihnen nur im Weg sein. Es ist besser, wenn ich ihn abschneide.«
Die Frau nickte wieder.
»Warten Sie einen Moment«, sagte Cassie zu ihr. Sie mußte Sam holen, damit er den Äther verabreichte.
Er war noch im Haus und saß mit Olivia und Fiona vor einem Drink.
»Wußte ich doch gleich, daß ich mich hätte verdrücken sollen«, sagte er grinsend. »Ich hätte rüber in die Zeltstadt gehen sollen. He, Schatz«, sagte er an Olivia gewandt, »willst du mitkommen und zusehen? Du fragst mich doch immer, was wir eigentlich tun.«
»Kommst du auch mit?« fragte sie Fiona.
»Ich habe das schon ein halbes dutzendmal gesehen«, sagte Fiona. »Mir reicht es. Ich finde Amputationen nicht besonders spannend.«
»Wird mir übel davon?« fragte Olivia Sam.
Er zuckte die Achseln. »Mir ist beim ersten Mal beinah übel geworden.«
»Wenn das so ist, nein, danke. Ich bleibe lieber hier.«
»Er wird nicht lange fort sein«, versicherte ihr Cassie.
Als sie mit Sam auf den Rasen hinter dem Haus zurückkehrte, auf dem sie ihre Sprechstunde abhielt, saß die Frau immer noch mit der Hand auf dem Tisch da.
»Wir wollen sie auf diese Pritsche legen, und dann kannst du den Äther verabreichen, aber nur eine kleine Dosis. Es wird nicht lange dauern. Ich würde Novokain nehmen, aber ich glaube, es ist besser, wenn sie bewußtlos ist.«
Er nickte.
Cassie schnitt den Finger hinter dem zweiten Gelenk ab und ließ einen Lappen der kräftigen Haut auf der Innenseite am letzten Fingerglied. Diesen Lappen zog sie über den Stumpf und nähte ihn fest.
»Saubere Arbeit«, sagte Sam.
»Ja, meinst du nicht auch?« Sie sah die Frau an und stellte fest, daß sie jeden Augenblick wieder zu Bewußtsein kommen würde. »Du kannst jetzt wieder zu deiner Frau gehen«, sagte sie. »Es dauert nicht lange, dann komme ich nach.«
»Ich warte auf dich«, sagte Sam. »Fiona hat gesagt, daß Blake und Steven zum Abendessen da sind. Zur Rennbahn gehen wir erst morgen.«
Als sie ins Haus zurückkamen, waren Blake und Steven eingetroffen. Blake legte Sam einen Arm um die Schultern und sagte etwas zu ihm, was Cassie nicht hören konnte. Sie ging auf Steven zu und küßte ihn auf die Wange, während er die Arme um sie schlang und sie an sich zog.
»Cassie, du wirst von Mal zu Mal hübscher«, sagte Steven und küßte sie ebenfalls auf die
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