Wer den Himmel berührt
fest, daß sie sich eine förmlichere Redeweise zulegte – als stünde sie auf einer Bühne – und nicht so sprach, wie sie es gewöhnlich tat.
Einer der Anrufe bedrückte sie tagelang. Er kam von einem Gehöft hoch oben im Norden. Der Besitzer, Ian James, schilderte die Symptome eines Aborigines, der als Fährtensucher für ihn arbeitete. »Mit dem alten Schwarzen geht es schnell bergab. Er ist zum Frühstück nicht erschienen, und ich glaube nicht, daß er sich in dreißig Jahren eine einzige Mahlzeit hat entgehen lassen. Meine Frau hat ihn im Auge behalten, und sie sagt, er sieht furchtbar aus. Er scheint nur noch mit Mühe Luft zu kriegen, und ich fürchte, daß er im Sterben liegt. Können Sie kommen und ihn holen?«
»Schauen Sie zuerst einmal in Ihren Medizinschrank. Dort werden Sie ein Thermometer finden. Ich möchte, daß Sie ihm die Temperatur messen und ihm den Puls fühlen. Zählen Sie die Anzahl der Pulsschläge, die Sie im Handgelenk des Patienten fühlen, fünfzehn Sekunden lang, und multiplizieren Sie die Zahl dann mit vier. Haben Sie mich verstanden?«
Am anderen Ende der Leitung herrschte Schweigen, und dann war eine gereizte Stimme zu vernehmen. »Doktor? Sehen Sie mal, ich kenne diesen Mann seit meiner Kindheit. Ich brauche nicht erst seine Temperatur zu messen und ihm den Puls zu fühlen, um zu wissen, wie krank er ist.«
»Trotzdem kann ich Ihnen ohne die notwendigen Informationen nichts verschreiben.«
»Sie brauchen nichts zu verschreiben. Kommen Sie einfach her, und bringen Sie ihn ins Krankenhaus.«
Cassie wurde ungeduldig. »Es kann ja gut sein, daß Sie recht haben, aber es kostet Sie doch wirklich nur ein paar Minuten, mir die Informationen zu besorgen, die ich haben möchte.«
»Hören Sie«, schrie Mr. James wutentbrannt. »Ich will, daß ein Arzt sich den armen Kerl ansieht, und zwar jetzt!«
»Ich habe größtes Verständnis dafür, aber ich brauche wirklich mehr Informationen, ehe wir einen Flug von etlichen Stunden antreten. Wir sind kein Ambulanzdienst. Es dauert doch nur ein paar Minuten …«
Die Leitung wurde unterbrochen. Er hatte einfach aufgelegt. Sie wußte, daß Dutzende von anderen Gehöften mithörten. Selbst wenn sie keine Soforthilfe brauchten und niemand krank war, stellten die Stunden der Funkverständigung den Höhepunkt des Tages dar, denn nur dann konnten die Leute sich die Probleme ihrer Nachbarn anhören und überhaupt andere Stimmen hören, was ihnen das Gefühl gab, weniger einsam zu sein.
In den beiden kommenden Nächten konnte Cassie, wenn sie die Augen schloß, nichts anderes vor sich sehen als einen Schwarzen, der im Sterben lag, während sie genauere Fragen zu den Symptomen stellte. Das war jedoch schnell vergessen, als sie und Sam am Freitag morgen früh nach Tookaringa aufbrachen. Sie hatten die ganze Woche über nur einen einzigen kurzen Flug unternommen, und der hatte dazu gedient, einen Patienten zu einer Blinddarmoperation, die Chris Adams vornahm, ins Krankenhaus zu bringen. Diesmal besaß er den Anstand, ihr mitzuteilen, daß der Patient alles gut überstanden habe, doch sie erhielt diese Information von Isabel, die er gebeten hatte, es ihr auszurichten.
Sam und sie beschlossen, nach der telefonischen Sprechstunde um elf Uhr am Freitag morgen nach Tookaringa aufzubrechen, um rechtzeitig dort einzutreffen, und am Nachmittag ambulant zu behandeln. Sam sagte: »Nach allem, was ich gehört habe, bedeutet eine Einladung zu einem der Barbecues bei den Thompsons, daß wir uns als die beiden glücklichsten Menschen weit und breit ansehen dürfen.«
Cassie schien sämtliche Anrufer um acht und um elf zufriedenstellend beraten zu haben, und sie hatte versprochen, auf dem Weg nach Tookaringa bei einem der Gehöfte haltzumachen, wo sich eine Frau das Bein an einem Stacheldraht übel zerkratzt hatte. »Ich kann ihr zumindest eine Tetanusspritze geben, damit der Wundstarrkrampf nicht einsetzt«, bemerkte Cassie gegenüber Horrie.
Sie flogen nach Nordnordwest und hatten die Sonne direkt über sich. »Mit dieser Masse von Spritzen fliege ich lieber tief«, sagte Sam. »Wir haben keine Eile. Ich schätze, wir brauchen eine Stunde oder so zu … wie heißt sie schnell noch mal?«
Cassie warf einen Blick auf den Notizblock auf ihrem Schoß. »Heather. Heather Martin. Sie hat gesagt, der Landestreifen ist noch nicht fertiggestellt, aber sie arbeiten schon daran. Das Gelände ist ziemlich eben.«
»Ja, ich frage mich schon immer, was die Leute
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