Wer den Himmel berührt
schüchtern wie auf Tanzveranstaltungen in ihrer frühen Jugend.
Jennifer stand auf und lief ihm entgegen, als er die Stufen hinaufkam. Sie legte die Hände auf seine Schultern und streckte sich, um ihm einen Kuß zu geben.
»Komm mir nicht zu nah«, sagte er und streifte ihre Stirn mit seinen Lippen. »Ich brauche dringend ein Bad.«
Er hatte Cassie nicht aus den Augen gelassen. »Wie lange hast du Zeit? Wie viele Tage bleibst du hier?«
»Nur bis zum Sonntagnachmittag.«
Er verschwand im Haus, und Jennifer wandte sich Cassie wieder zu. »Diese Wendung der Ereignisse freut mich enorm – ich hoffe, das weißt du. Von dem Moment an, in dem ich dir das erste Mal begegnet bin, habe ich mir das erhofft.« Sie schaute zum Horizont hinaus, über die niedrigen Bäume hinweg, die das Land bedeckten. Dann sagte sie: »Hier draußen kann die Isolation zu einer Krankheit werden.«
»Hast du dich derart einsam gefühlt?«
»Oh, in der ersten Zeit hier habe ich geglaubt, ich würde es nicht lange schaffen. Steven war wochenlang ununterbrochen unterwegs, um das Vieh zusammenzutreiben, und ich hatte niemanden, mit dem ich reden konnte. Ich hatte rasende Angst vor all diesen Schwarzen, und ich war sicher, sie würden mich vergewaltigen, mich im Schlaf ermorden oder sonst etwas Gräßliches. Und ich fand die Stille unerträglich. Die Einsamkeit war so gewaltig, so tiefgreifend, daß ich meinen eigenen Herzschlag hören konnte. Und dann habe ich begonnen, all die Laute zu schätzen. Da gibt es die wunderbaren Vögel und den Wind in den Bäumen, das Muhen der Rinder, das Surren der Moskitos, die Dingos, die in der Nacht heulen. Ich bin mir darüber bewußt, daß das Leben im Busch für viele Frauen zum Alptraum wird. Abgesehen von der Leere und der Einsamkeit kommt es zu Unfällen, und man kann absolut keinen Arzt erreichen, und bisher konnte auch kein Arzt zu uns gelangen, nicht ehe du hergekommen bist. Es gibt hier Frauen, die ihre Babys selbst entbinden, und es gibt Fieber, die den Tod bedeuten. Manche Menschen gewöhnen sich nie ein hier. Sie finden, es sieht überall gleich aus.«
»Dir geht es offensichtlich nicht so.«
Jennifer warf den Kopf zurück und fuhr sich mit einer Hand durch das Haar. »Ich bin jetzt Australierin. Ich denke und handele wie sie. Ich habe fast dreißig Jahre hier verbracht, auf diesem einen Flecken Land. Ich bin fünfzig. Wenn ich in England geblieben wäre, wäre ich bleich und gelähmt vor Langeweile. Ich habe mir nie gewünscht, den einfachen Weg zu gehen.«
Cassie sah die ältere Frau voller Bewunderung an. »Geben manche dieser Menschen klein bei? Ich glaube, daß widrige Umstände zwei entgegengesetzte Reaktionen hervorrufen können. Die eine besteht darin zusammenzubrechen. Die andere darin, stärker zu werden.«
»Natürlich reagiert nicht jeder positiv darauf. Hier geschehen Dinge, die einem das Herz brechen können. Siebenjährige Dürren können fast jeden zugrunde richten und ihm den Mut rauben. Alles, was man mit seinem eigenen Schweiß und Blut aufgebaut hat, sämtliche Träume und alles andere, aus und vorbei. Die Kinder tot. Die Liebe auf eine harte Probe gestellt und dabei herausgefunden, daß sie einiges zu wünschen übrigließ. Im Busch herrschen Einsamkeit und Gewalttätigkeit. Dir wird nicht alles gefallen, was du hier zu sehen bekommst.«
»Verschließt du die Augen davor?«
Jennifer schüttelte den Kopf. »Nein, das gehört zum Leben. Natürlich sind die Frauen diejenigen, die am übelsten dran sind. Sie werden allein zurückgelassen, wenn ihre Männer auf einen sechsmonatigen Viehtrieb gehen, und sie bekommen keinen anderen Menschen zu sehen – manchmal über Jahre.« Sie lachte. »In diesem Land herrscht krasser Individualismus, soviel steht fest.«
Steven und Blake betraten gemeinsam die Veranda.
»Die Sonne ist schon weit über den Zenit hinaus«, sagte Steven. »Was trinkst du, Cassie?« Er beugte sich hinunter, um Jennifer auf die Wange zu küssen, und dann blieb er mit einer Hand auf ihrer Schulter stehen.
Blake, der in der Tür stand, sagte: »Wir brechen im Morgengrauen auf.«
»Nur ihr beide?«
»Nur wir beide. Ich reite mit ihr raus, um ihr das Lager der Viehtreiber zu zeigen, damit sie sich eine Vorstellung vom Leben im Busch machen kann. Wir sind zum Abendessen zurück.«
Es war trotz der Hitze ein märchenhafter Morgen. Scharen von Känguruhs sprangen mit Leichtigkeit über Zäune.
Blake wies nach Westen, und dort entdeckte Cassie Dutzende
Weitere Kostenlose Bücher