Wer den Himmel berührt
die geringste Chance hatte, den Rückweg zum Flugzeug zu schaffen, ohne sich zwischendurch auszuruhen.
Sie spürte Sams Hand auf ihrer Schulter, und mit gesenkter Stimme sagte er: »Du schaffst das schon. Ich weiß, daß du es schaffst.«
Sie drehte sich zu ihm um, sah ihn lächelnd an und strich sich das nasse Haar aus den Augen. Clive Youngs Flanellhemd war ein Dreifaches zu groß für Sam, um dessen nackte lange Beine es lose herumflatterte, als er dastand.
»Das ist unfair. Ich habe dich schließlich auch nicht ausgelacht.«
»Das kommt daher, daß du versprochen hast, nicht hinzusehen«, sagte sie.
»Also, um die Wahrheit zu sagen«, sagte er, »ich habe dieses Versprechen gebrochen. Aber mach dir keine Sorgen. Ich werde schon niemandem erzählen, daß du weiblicher bist, als du dich zu geben versuchst.«
Sie wandte sich verlegen von ihm ab.
Clive tauchte mit einem Regenmantel wieder auf.
»Der hilft Ihnen nicht gerade dabei, den Fluß zu durchqueren«, sagte Sam.
»Ich weiß auch nicht, wo ich meinen Kopf habe«, sagte Clive und zog den Regenmantel wieder aus.
Zehn Minuten später sagte Myrna Young: »Ich habe belegte Brote gemacht. Es tut mir leid, daß ich Ihnen nicht mehr anbieten kann.«
»Willst du denn gar nichts essen?« fragte sie ihren Mann.
»Ich mache mir zu große Sorgen, als daß ich etwas essen könnte.«
Sam sagte zu Cassie: »Wir sollten jetzt besser gehen. Es könnte eine ganze Weile dauern, das Flugzeug von diesem Hügel hochzukriegen.«
»Glaubst du, man kann sich seinen Lebensunterhalt auch einfacher verdienen?« fragte Cassie.
Sam erwiderte: »Sag mir eins: Fällt dir irgend etwas ein, was du im Moment lieber tätest? Erzähl mir bloß, dein Leben sei nicht interessanter als das von mindestens neunzig Prozent der Menschheit weltweit.«
Als sie darauf nicht antwortete, fragte er: »Wird dieses Baby überleben?«
»Falls wir es schnell genug mit Flüssigkeit vollpumpen können, ja.«
»Dann sieh es doch einfach so: Wenn du jetzt nicht hier stündest, halbnackt und erschöpft und mit der Aussicht, weitere zwölf Meilen im Regen durch Schlamm und Gestrüpp zu waten, wenn du nicht … ich meine damit, du wirst heute ein Leben retten. Wenn du nicht tätest, was du im Moment gerade tust, dann würde ein Baby sterben. Sieh es doch einfach so.«
»Also, ich sage dir eins, Sam. Es gibt niemanden, den ich lieber als Partner hätte als dich, soviel steht fest. Du bist einfach ein prima Kerl.«
Er schwieg einen Moment lang. »Tja, wenn du meinst.«
Clive Young band sich das Kind in einem Tuch auf den Rücken. »Falls es dazu kommen sollte, daß ich schwimmen muß, ist der Junge wenigstens in Sicherheit«, sagte er.
Sie brachen auf, die vier Erwachsenen in ihrer Unterwäsche, und trugen ihre Schuhe über den Köpfen. Sam hatte Cassies Kleider noch in dem Bündel, das er aus seinem Hemd geschnürt hatte. Es regnete so stark, daß sie kaum einen halben Meter weit sehen konnten und ständig blinzeln mußten, weil ihnen das Wasser in die Augen lief.
»Du gehst zuerst«, wies Sam Cassie an, »und hältst diesen Schwarzen an der Hand. Dann kommt Clive, und Mrs. Young und ich bilden das Rücklicht. Du wirst gegen die Strömung ankämpfen müssen, aber du hast es schon einmal geschafft.«
Cassie konnte kaum etwas sehen. Clive Young hielt ihre Hand fest umklammert, und der Aborigine vor ihr erschien ihr wie ein Felsen, als er sich stetig und langsam gegen die tosenden Fluten vorschob. Als sie das Ufer erreicht hatte, hatte der Schwarze Clive schon an der Hand gepackt und ihn und das Kind sicher an Land gezogen, ehe sie Clive auch nur losgelassen hatte.
Mrs. Young war ausgeglitten, und als Cassie sich umdrehte, sah sie, wie Sam an ihrem Arm zog und versuchte, sie zu sich herüberzuziehen. Dann streckte er die Arme aus, legte sie um sie und hielt sie eng an sich gepreßt, während er durch das Wasser in Sicherheit watete.
Mrs. Young begann zu weinen. »O nein«, sagte sie und rang nach Luft. »Einen Moment lang habe ich tatsächlich gefürchtet …«
»Es ist alles gutgegangen. Wir müssen jetzt loslaufen«, sagte Sam.
»Es jagt mir Todesängste ein, was der Regen anrichten könnte, der auf dieses Kind herunterprasselt«, murmelte Cassie Sam zu.
Er nickte. »Wir haben noch drei Stunden vor uns.«
Wie sie es schafften, hätte keiner von ihnen jemals mit Gewißheit sagen können. Cassie glaubte, der einzige Grund, aus dem sich das Baby keine Lungenentzündung holte, war darin zu
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