Wer den Tod ruft: Thriller (German Edition)
sie wieder klar denken, was ihren Schmerz vergrößerte. Wie spät war es? Sie suchte nach einer Uhr, ihr Blick blieb an seinem Körper hängen. Er lag auf dem Bauch, seine Rückenmuskeln bewegten sich im Rhythmus seines Atems auf und ab. Langsam zog sie die Decke von sich und kletterte aus dem Bett. Der Fußboden knarrte. Sie zuckte zusammen, aber er schlief viel zu fest. Vorsichtig setzte sie einen Fuß vor den anderen, sammelte Bikinihöschen und Sommerkleid ein und schlich sich aus dem Zimmer.
Im Gang war es dunkel, es gab keine Fenster nach außen. Langsam ging sie am Badezimmer vorbei, in dem Doktor Lopez gestern Abend ihre Wunde vernäht hatte. Dem Spiegel ging sie konsequent aus dem Weg. Im Wohnzimmer zog sie ihr Sommerkleid über. Erinnerungen an die stinkige, dunkle Gasse in Mexiko tauchten auf.
Nicht daran denken. Bloß nicht daran denken.
Sie band die Träger wieder zusammen und entdeckte ihren Brustbeutel auf dem Couchtisch. Sie war barfuß. Wo waren ihre Schuhe? Egal, sie würde am Strand zurückgehen. Vorsichtig schob sie die Tür auf.
Das strahlende Blau des Himmels war kaum auszuhalten. In der Vormittagssonne schimmerte das Meer. Sie hielt die Hand über die Augen, blieb kurz stehen und betete, der Brechreiz möge sich in Luft auflösen. Die Möwen kreischten und krächzten, sie versuchte das Geschrei zu überhören und lief über die Veranda, wo sie die noch fehlende Hälfte ihres Bikinis zu finden hoffte. Stattdessen entdeckte sie zwei leere Gläser.
Elaina starrte sie an. Und vor ihrem inneren Auge fasste Troy ihre Knie an, schob sie auseinander und …
Um Gottes willen. Sie bekam weiche Knie und eine wohlige Gänsehaut. Sie biss sich auf die Lippen. Nur ein paar Meter entfernt lag er ausgestreckt in seinem Bett. Sie könnte zurückgehen und sich an ihn kuscheln. Könnte sie. Sollte sie aber nicht. Sie sollte gehen. Denn das gehörte zu den Regeln eines One-Night-Stands: Es gab keinen Morgen danach.
Oder doch? Jetzt tauchte dieses Bild auf: Er war über ihr und ließ seinen Blick in der Dunkelheit über ihren Körper gleiten.
Die Tür ging auf. Das Geräusch holte sie zurück ins Jetzt.
Er stand vor ihr. Nur mit einem Paar Shorts bekleidet. Sie sahen sich in die Augen.
Elaina bewegte sich nicht. Für eine Millisekunde blickte sie zur rettenden Treppe, was er aber bemerkte und mit einem unfreundlichen Blick quittierte.
»Für dich«, sagte er und streckte die Hand aus.
Sie blickte verständnislos auf sein Handy. »Was ist los?«
»Ein Gespräch für dich. Weaver.«
Er gab ihr das Telefon, drehte sich um und verschwand im Haus.
Sie starrte auf das Handy in ihrer Hand, die etwas zitterte. Waren das die Nachwehen des Tequila? War die Liebesnacht mit Troy daran schuld? Oder war es die Tatsache, dass einer ihrer Kollegen sie auf seinem Handy anrief?
Sie hielt das Telefon gegen das Ohr. »Special Agent McCord.«
Weaver antwortete nicht sofort. Kein Wunder, bei dieser seltsam formellen Begrüßung. Was war in sie gefahren?
»Ich wollte mit dir sprechen, bevor du ins Büro kommst«, sagte er. Auch seine Stimme klang förmlich. »Detective Ricardo Santos vom Polizeirevier San Marcos ist bei mir. Er hat vergeblich versucht dich zu erreichen. Können wir uns nach deinem Treffen mit Chief Breck sehen?«
Ein Treffen mit Breck? Sie brauchte eine Weile, bis sie verstand. Weaver wollte sie decken, denn der Detective stand direkt neben ihm.
»Kein Problem«, sagte sie und musterte ihre Kleidung. »Sagen wir … Ich brauche aber noch eine gute halbe Stunde.«
»Kein Problem. Wie wär’s in dem Coffeeshop bei deinem Hotel?«
»Gut. Bis dann.«
Sie legte auf. Ihr Blick wanderte wehmütig zum Haus – so viel zu ihrer Begabung für einen lässigen souveränen Abgang. Coolness war noch nie ihre Stärke gewesen. Das hatte sie aber vorher schon gewusst.
Sie ging zurück ins Haus, um Troy das Telefon wiederzugeben. Sie hörte seine Schritte im Gang, dann stand er vor ihr in Jeans, einem weißen T-Shirt und Sandalen.
»Es war Weaver«, sagte sie zu ihm. Sofort fiel ihr ein, dass er das bereits wusste.
Er zog die Augenbrauen hoch und steckte das Handy in die Hosentasche.
»Ich bin spät dran. Ich muss gehen«, sagte sie.
Er ging in die Küche und kam mit den Wagenschlüsseln zurück.
»Ich gehe zu Fuß«, sagte sie. »Es ist nicht weit.«
Er sagte nichts. Stattdessen verschwand er wieder und kam diesmal mit einem Paar pinkfarbener Flipflops zurück, die an seiner Hand baumelten. Er hielt sie
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