Wer einmal auf dem Friedhof liegt...
*
„Das ist Ihre Doppelgängerin“, sage
ich zu dem Filmstar, der Yolande neugierig anstarrt. „Seien Sie ihr wegen ihrer
künstlerischen Tätigkeit nicht böse.“
Wenig später verabschiede ich mich,
zusammen mit Régine. Sollen sich die beiden Künstlerinnen unter vier Augen
aussprechen. Meine Mission ist hiermit beendet. Yolande ist alt genug, um nach
dem Gespräch alleine nach Hause zu finden.
„Und was machen wir jetzt?“ fragt
Régine, als wir in meinem Wagen sitzen.
„Erstmal warten wir ’n Weilchen,
wenn’s Ihnen nichts ausmacht.“
„Nein, überhaupt nicht“, sagt sie und
lacht zweideutig.
Ihr muß ich nichts erklären. Aber ich
kann ihr auch nichts vormachen. Sie hält mich für einen Privatflic, der ‘n
bißchen vor ihr angeben will.
Es regnet nicht mehr. Dafür ist es
jetzt neblig. Die Leuchtreklamen der Kinos und Cafés verschwimmen etwas, aber
wir haben immer noch ausgezeichnete Sicht. In einem Auge hab ich den
Hauseingang zu Dany Darnys Wohnung, im anderen Yolandes Wagen, der einige Meter
weiter geparkt ist.
Der Filmstar schien alleine zu sein.
Aber irgend etwas sagt mir, daß sie eigentlich Besuch
haben sollte. Vielleicht hat er sich zurückgezogen, als wir kamen. Oder er
taucht erst später auf. Ich bin jedenfalls entschlossen, so lange zu warten,
bis Yolande aus dem Haus kommt.
Eine gute Stunde verstreicht. Niemand
kommt heraus, niemand geht hinein. Endlich öffnet sich die Haustür. Yolande
tritt ins Freie. Alleine. Ich weiß nicht, ob ich enttäuscht sein soll oder
nicht. Sie geht zu ihrem Wagen, steigt ein und braust davon. Ich starte
ebenfalls meinen Dugat.
„Das wär’s dann also für heute“, sage
ich zu Régine. „Ich fahr Sie nach Hause.“
„Wenn’s Ihnen Spaß macht“, bemerkt das
Mädchen trocken.
Hab den Eindruck, daß sich ihre
Gefühle zu mir abgekühlt haben. Wahrscheinlich wegen der Komödie, die sie
hinter meinem Verhalten vermutet.
Nach ein paar Minuten verliere ich den
Sportwagen aus den Augen. Erst in der Rue du Dobropol seh ich ihn wieder. Als
wir gemächlich um die Ecke biegen, parkt er schon vor dem Haus meiner jungen
Freundinnen. Yolande steigt aus.
Die Straße liegt verlassen da. Die
Büsche in den Vorgärten werfen ihre Schatten auf den Bürgersteig, die
Straßenlaternen ihr Licht auf die regennassen Gitter. Die Fassade wird von
einigen beleuchteten Fenstern durchlöchert. Der Nebel macht die verlassene
Einsamkeit dieser Gegend noch fühlbarer.
Ja, es sieht so aus, als wär’s das für
heute. Wirklich? Komm, Nestor, mal den Teufel nicht an die nachtschwarze Wand.
Plötzlich preßt sich Régine an mich,
so als wolle sie Schutz in meinen Armen suche. Ihre Fingernägel krallen sich
durch den Stoff in mein Fleisch.
Sie hat’s gesehen, genauso wie ich.
Aus einem Hauseingang lösen sich zwei
Schatten und gehen eilig auf Yolande zu. Der Film läuft so schnell ab, daß ich
gar nicht zum Eingreifen komme. Mit einem blinkenden Gegenstand — eher einem
Revolver als einem Knüppel — verpaßt ihr einer der Kerle einen Schlag auf den
Hinterkopf. Lautlos, ohne einen Schrei sinkt Yolande dem anderen Gangster in
die Arme.
Bevor Régine neben mir aufschreien
kann, halte ich ihr den Mund zu.
Levallois by night
Im nächsten Augenblick ist die Straße
wieder menschenleer. Der Tallemet rast in Richtung Levallois. Ich lasse Régine
los und mache mich an die Verfolgung.
„Großer Gott!“ stöhnt das Mädchen.
„Was ist da passiert?“
Beruhigend klopfe ich ihr aufs Knie.
Im Moment fällt mir nichts Besseres ein.
„Ich hab nicht mehr gesehen als Sie“,
murmele ich.
„Die haben Yolande entführt!“
Ihre hysterische Schreierei macht es
auch nicht besser.
„Ja, die haben Yolande entführt“,
wiederhole ich nickend.
„Das sind Mädchenhändler!“
„Weiß ich nicht. Kann schon sein.“
„Und Sie haben nichts unternommen!“
kreischt Régine vorwurfsvoll. Sie wird tatsächlich gleich hysterisch.
„Was hätte ich denn unternehmen
können? Blinder Eifer schadet nur. Und mein Heldentod hätte ihr auch nichts
genützt. Besser, wir kriegen raus, wo die Kerle sie hinbringen... Und wenn Sie
jetzt, bitte schön, die Schnauze halten würden? Diskutieren können wir später.“
Régine kauert sich in ihren Sitz. Ich
hole meine Kanone raus und lege sie zwischen uns. Wie das Schwert zwischen
Tristan und Isolde. Aber die Absicht ist eine andere. Sicher ist sicher, sage
ich mir. Wenn ich die Waffe plötzlich brauche, hab ich sie griffbereit
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