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Wer einmal auf dem Friedhof liegt...

Wer einmal auf dem Friedhof liegt...

Titel: Wer einmal auf dem Friedhof liegt... Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Léo Malet
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neben
mir.
    „Sie sind bewaffnet!“ stellt Régine
fest. „Und trotzdem haben Sie nicht eingegriffen.“
    „Schnauze.“
    Sie hält sie. Rührt sich nicht mehr in
ihrer Ecke.
    Inzwischen rast der Tallemet den
Boulevard de l’Yser hoch, biegt in die Avenue de la Porte de Champerret ein.
Bis hierhin kenn ich mich aus. Die Kerle vor uns haben noch nicht mitgekriegt,
daß hier ‘ne Verfolgungsjagd stattfindet. Aber lange geht das nicht mehr gut.
Wir fahren nach Levallois, und in dem Gewirr von dunklen, schlecht
gepflasterten Straßen verliere ich die Orientierung. Der Federung meines Wagens
ächzt und stöhnt im Chor mit meiner Beifahrerin. Das Mädchen wird so richtig
durchgeschüttelt. Plötzliche Kurven, unerwartete Wechsel von Richtung und Gang.
Offensichtlich haben Yolandes Kavaliere spitzgekriegt, daß sie immer einen
Dugat im Rückspiegel sehen können. Sie versuchen die waghalsigsten Manöver, um
mich abzuhängen. Aber ich bin vom Fach, und die Entfernung zwischen den
Rennwagen wird nicht geringer, bis plötzlich...
    Ja, bis ich plötzlich einen Gegenstand
in meinen Rippen spüre. Könnte ‘n Pfeifenstiel sein. Ist aber mein Revolver.
    „Drehen Sie um“, stammelt Régine
zitternd, mit tonloser Stimme. „Ich hab Angst.“
    Scheiße! Das hat mir gerade noch
gefehlt. Klar, daß die Kleine Schiß gekriegt hat. Unter dem Make-up ist sie
bestimmt grün im Gesicht. Man könnte meinen, sie hätte ein Gespenst gesehen.
Der hysterische Anfall ist überwunden, jetzt winkt der Nervenzusammenbruch. Ja,
Régine hat Angst. So große Angst, daß sie mutig meinen Revolver in die Hand
genommen und ihn mir in die Rippen gedrückt hat. Scheint für sie der einzige
Weg zu sein, aus dieser Situation heil rauszukommen. Ich schiele auf die Waffe.
Es ist zu dunkel, um zu erkennen, ob ich sie eben entsichert habe oder nicht.
Ich erinnere mich nicht mehr. Immerhin hat Régine den Finger am Abzug, und die
Hände zittern ganz schrecklich. Wenn sie noch etwas mehr Angst kriegt und noch
etwas mehr zittert, fang ich mir gleich ‘ne wunderschöne blaue Bohne! Fluchend
bremse ich. Vor mir, weit weg, werden die Rücklichter des Tallemet vom Nebel
verschluckt. Ironisch scheinen sie mir zuzuwinken. Gute Nacht, Nestor! Aber
vielleicht ist es auch ein anderer, ein unschuldiger Wagen.
    „Blöde Gans“, zische ich der
Revolverheldin neben mir zu.
    Doch glücklicherweise ist die blöde
Gans zu aufgeregt oder zu erschöpft. Sie paßt einen Augenblick nicht auf, und
ich kann ihr endlich auf die Finger klopfen und die Kanone abnehmen. Sie sieht
mich verstört an, verzieht ihren Mund und öffnet ihn dann ganz langsam. Das
Geheul, das sie ausstößt, gleicht verdächtig dem der Alarmsirenen heute mittag . Ich ohrfeige das schreiende Ungeheuer links und
rechts. Erstens heilt man auf diese Weise einen hysterischen Anfall, und
zweitens beruhigt das meine eigenen Nerven. Ventil für meine Wut, Rache für ihr
unqualifiziertes Eingreifen. Régine sackt in sich zusammen und droht vom Sitz
zu rutschen. Soll sie ruhig ohnmächtig werden, wenn’s ihr Spaß macht! Dann ist
sie wenigstens nicht so lästig. Aber sie kommt wieder zu sich und fängt leise
an zu schluchzen.
    Ich stecke meine Kanone ein, steige
aus und mache ein paar Schritte auf dem nassen Asphalt. Die frische Nachtluft
tut mir gut. Ich fühle mich beinahe ausgezeichnet. Die schwach beleuchtete
Straße ist menschen- und autoleer. Die niedrigen Häuser links und rechts
schlafen tief. In dieser finsteren Gegend bin ich verloren. Sieht aus wie ‘n
Kuhdorf. Eine Katze springt miauend aus einem Mülleimer und nimmt vor mir
Reißaus. Durch den watteartigen Nebel dringt die Sirene (noch eine!) eines
Feuerwehrautos, das zum Einsatzort rast. Dann herrscht wieder tiefes Schweigen.
Ich gehe auf eine breitere Straße zu.Gide heißt sie. Charles oder André? Das
Schild gibt keine Auskunft. Würde mir sowieso nicht weiterhelfen. Sollen die
Gides doch alle zum Teufel gehen! Leicht fröstelnd gehe ich zum Wagen zurück.
    Régine hat sich nicht vom Fleck
gerührt. Mit einem Taschentuch tupft sie sich das schluchzende Näschen. Ich halte
die Wagentür an ihrer Seite auf und sage:
    „Ich hab noch hier in der Gegend zu
tun. Wenn’s dir nicht paßt, kannst du ja aussteigen und zu Fuß nach Hause
marschieren!“
    Der totale Schwachsinn! Aber jeder ist
anders albern, und jetzt bin ich an der Reihe.
    Régine reagiert nicht. Das heißt wohl,
daß sie bleiben will. Ich setze mich wieder hinters Steuer und verfahre

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