Wer einmal auf dem Friedhof liegt...
hier oder bei der Gräfin?“
„Ich habe bis vor einem halben Jahr
bei ihr gewohnt. Dann bin ich zur Erholung in Nizza gewesen. Wollte übrigens
versuchen, irgendwie zum Film zu kommen. Dort sind die Chancen besser als hier,
hab ich mir gesagt. Aber Pustekuchen. Na ja, vielleicht mit Dany Darnys
Hilfe...“
„...wird’s schon eher klappen“,
ergänze ich.
„Hoffentlich“, seufzt Yolande. „Also,
ich war mehrere Monate in Nizza. Vor zwei Wochen bin ich nach Paris
zurückgekommen, ziemlich blank...“
„Das kann ich nachfühlen“, sage ich
mitfühlend.
Sie läßt den Stein an ihrer Hand im
Licht funkeln. Souvenirs, Souvenirs! Bestimmt hat sie unten an der Küste einen
zahlungskräftigen und — willigen Freund gefunden. Aber leider tanzte sie nur
einen Sommer. Alles, was ihr blieb, ist dieser Ring. Ein Abschiedsgeschenk.
Nicht schlecht. Sieht aus wie ein Smaragd. Wenn er echt ist, ist er ein
hübsches Sümmchen wert.
„Ich bin dann also wieder in Huguettes
Villa gezogen“, fährt Yolande fort. „Sie hat mir diese Schauergeschichte
erzählt. Zwei Männer waren in der Zwischenzeit bei ihr gewesen. Haben mich
gesucht und die Gräfin bedroht. ,Wenn ich daran
denke’, hat sie mir gesagt, ,zittern mir immer noch die Knie’.“
„Wer’s glaubt, wird selig!“
„Ein Geizhals ist sie, weiter nichts ! , Meine Liebe’, hat sie gesagt, ,ich glaube, es ist besser,
daß du ausziehst.’ Und ich Blödmann hab ihr erzählt, daß ich völlig pleite bin.
Glücklicherweise hat Rita mir angeboten, bei ihr zu wohnen. Meine Wohnung hier
im Haus war nämlich nicht mehr frei.“
„Nicht grade sehr nobel, Ihre Gräfin“,
stelle ich fest.
„Kann man wohl sagen.“
„Und Ihnen dann noch solche Märchen
aufzutischen! Oder haben Sie Feinde?“ frage ich unschuldig.
„Was für Feinde sollte ich denn
haben?“ fragt Yolande noch unschuldiger zurück und reißt ihre schönen Augen
weit auf.
„Das weiß ich doch nicht. War nur ‘ne
Frage. Außerdem hätte diese Madame Minerva den schrecklichen Männern sagen
können, wo Sie sich aufhielten. Dann wär sie die beiden los gewesen.“
Das Mädchen schüttelte den Kopf.
„Niemand wußte, wo ich mich aufhielt.
Ich bin einfach weggelaufen, um meinen Kummer zu vergessen. Ich wollte nur alleine
sein.“
Ich frage sie nicht, weswegen sie
Kummer hatte. Désiris’ Selbstmord, ich weiß. Vielleicht wär dies der richtige
Augenblick, um die Kleine auszuquetschen. Aber so richtig intim bin ich noch
nicht mit der „Witwe“. Außerdem hab ich Zeit, viel Zeit.
„Das mit den bedrohlichen Männern ist
jedenfalls reine Erfindung“, beende ich das Thema. „Aber sagen Sie, was haben
Sie mit dem angefangenen Abend vor? Wie wär’s, sollen wir zusammen essen gehen?
Sie, Régine und ich. Danach könnten wir noch irgendwo ein Gläschen trinken...“
Und auf Umwegen wieder auf Désiris zu
sprechen kommen! Yolande nimmt meine Einladung an. Ich erhebe mich von meiner
futuristischen Sitzgelegenheit.
„Während Sie Régine Bescheid sagen,
hole ich schnell meinen Wagen vom Boulevard Berthier.“
„Wir können auch meinen nehmen“,
schlägt Yolande vor.
„Gerne, aber ich muß unbedingt
Kühlwasser nachfüllen“, rede ich mich raus.
Wasser ist das Stichwort. Draußen hat
es leicht angefangen zu regnen. Der übliche November-Nieselregen. An der Ecke
Boulevard Gouvion-Saint-Cyr winke ich ein Taxi ran.
Während der kurzen Fahrt denke ich
über die beiden Männer nach, die die Gräfin der weißen Linnen so sehr
erschreckt haben. Nein, das ist kein Märchen! Die Männer gibt es tatsächlich.
Wahrscheinlich sind es dieselben, die Dany Darnys überfallen haben, auf der
Suche nach der Geliebten von Monsieur Désiris. Doch, das gibt mir zu denken.
Mein Wagen steht immer noch da, wo ich
ihn — vor meiner Privatschau im Prickelnden Paris — abgestellt habe.
Hinter der Windschutzscheibe klemmt ein Strafzettel.
Macht nichts, bis Mitternacht werden noch einige
hinzukommen! Ich klemme mich hinters Steuer (wie der Strafzettel!) und fahre in
die Rue du Dobropol, wo Régine und Yolande auf mich warten.
„Wo soll’s denn hingehen?“ erkundige
ich mich.
„Ins Bistro 22, Avenue Niel“, schlägt
Yolande vor und bedeckt ihr Goldhaar mit einem Kopftuch, das ebenso
futuristisch gemustert ist wie ihre Sitzmöbel.
„Also, auf zu Weiluc“, sage ich.
Weiluc hieß der verstorbene Inhaber
des Bistros 22, den ich gekannt habe, als er noch unter den Lebenden weilte.
Ein ehemaliger Maler, der
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