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Wer einmal lügt

Wer einmal lügt

Titel: Wer einmal lügt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Coben
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und keiner wusste, was aus ihnen hätte werden können. Doch vor allem anderen war Ray Fotojournalist gewesen. Unabhängig, sarkastisch und clever. Wenn ein solcher Mann von einer Geliebten verlassen wurde, schmerzte ihn das, es versetzte ihm einen Stich oder brach ihm das Herz. Doch es richtete keine wirklich bleibenden Schäden an.
    Ihr Handy klingelte. Auf dem Display sah sie, dass ihre Schwiegermutter aus dem Pflegeheim anrief.
    »Agnes?«
    Schluchzend sagte ihre Schwiegermutter: »Gestern Nacht ist er wieder hier gewesen, Megan.«
    Megan schloss die Augen.
    »Er wollte mich umbringen.«
    »Ist alles okay?«
    »Nein.« Sie klang wie ein verängstigtes Kind. Natürlich war es ein Klischee, aber das Altern ist kein gradliniger Prozess. Es ist eher ein Kreis, der wieder in die Kindheit zurückführt, dann allerdings fast nur deren negative Seiten hervorbringt. »Du musst mich hier rausholen, Megan.«
    »Ich bin gerade ziemlich beschäftigt …«
    »Bitte. Er hatte ein Messer. Ein großes. So eins, wie du in der Küche hast. Das, das ich dir zu Weihnachten von dem Teleshopping-Kanal bestellt habe. Genau so eins. Guck mal bei dir in der Küche nach, ob das Messer noch da ist. O Gott, noch so eine Nacht halte ich nicht aus …«
    Megan wusste nicht, was sie sagen sollte. Eine andere Stimme meldete sich am Telefon: »Hallo, Mrs Pierce, hier ist Missy Malek.«
    Die Leiterin des Pflegeheims. »Bitte nennen Sie mich Megan.«
    »Richtig, das haben Sie mir schon einmal gesagt. Entschuldigen Sie.«
    »Was geht da vor?«
    »Wie Sie wissen, Megan, hat Ihre Schwiegermutter sich schon öfter so verhalten.«
    »Heute kommt es mir schlimmer vor.«
    »Von dieser Krankheit erholt man sich nicht mehr, sie bessert sich nicht mit der Zeit. Agnes wird immer unruhiger werden, aber wir können auch in dieser Situation etwas für sie tun. Wir haben uns doch schon darüber unterhalten, ja?«
    »Das haben wir.«
    Malek wollte Agnes in den zweiten Stock verlegen, vom »Offenen Wohnen« in die Etage für Personen mit fortgeschrittener Demenz. Außerdem wollte sie eine Einwilligung, Agnes stärkere Psychopharmaka geben zu dürfen.
    »Ich habe so etwas schon mehrmals erlebt«, sagte Malek. »Wenn auch selten so ausgeprägt.«
    »Könnte da etwas dran sein?«
    »Wie bitte?«
    »An Agnes’ Behauptung. Sie hat ja noch viele klare Momente. Könnte da etwas dran sein?«
    »Ob ein Mann mit Ihrem Küchenmesser in ihr Zimmer eingedrungen ist und sie damit bedroht hat? War das Ihre Frage?«
    Megan wusste nicht, was sie darauf antworten sollte. »Vielleicht, ich weiß nicht, vielleicht wollte jemand vom Personal ihr einen Streich spielen, oder sie hat etwas missverstanden …«
    »Megan?«
    »Ja.«
    »Hier spielt niemand Streiche. Das ist das Grausame an der Krankheit. Wir begreifen Krankheiten, wenn es sich um körperliche Gebrechen handelt – wenn jemand ein Körperteil verliert, eine Transplantation braucht oder so etwas. In diesem Fall ist es ähnlich. Agnes kann nichts dafür. Es ist eine chemische Reaktion in ihrem Gehirn. Und wie ich schon erwähnt habe, wird dieses Problem nicht wieder verschwinden. Deshalb müssen Sie und Ihr Mann noch einmal ernsthaft über Agnes’ Wohnsituation nachdenken.«
    Das Handy kam Megan plötzlich unendlich schwer vor. »Können Sie mir Agnes noch einmal geben?«
    »Selbstverständlich.«
    Ein paar Sekunden später hörte sie wieder die ängstliche Stimme. »Megan?«
    »Ich bin unterwegs, Agnes – und dann nehme ich dich mit nach Hause. Warte einfach auf mich, okay?«

NEUNUNDZWANZIG
    W enn man den Boardwalk in Atlantic City das erste Mal sieht, ist man verblüfft über die heruntergekommene, dabei jedoch lebhafte Vorhersehbarkeit des Ganzen. Skeeball-Hallen, Schmalzkuchen, Hot-Dog-Stände, Pizza-Stände, Verkäufer von Time-Sharing-Apartments, Minigolf, Klamottenläden voller T-Shirts mit schlüpfrigen Sprüchen, Souvenirläden – alles perfekt eingefügt zwischen riesige Kasino-Hotels, das Ripley’s Believe It or Not! -Museum (inklusive eines »Penisköchers« aus Neuguinea, der laut Erklärung als »Schmuck und Schutz vor Insektenstichen« diente, von der Funktion als Lieferant für Gesprächsstoff ganz zu schweigen) und Einkaufszentren für Neureiche. Kurz gesagt, Atlantic Citys Boardwalk ist genau das, was man erwartet und wahrscheinlich auch sehen will: totaler Schund.
    Doch gelegentlich erwartete einen am Boardwalk eine Überraschung. Wenn Sie je die Originalversion von Monopoly gespielt haben, kennen Sie

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