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Wer einmal lügt

Wer einmal lügt

Titel: Wer einmal lügt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Coben
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Sie tun, Mr Pierce?«, fragte die junge Mitarbeiterin.
    Sie hatte vor kurzem ihren Abschluss in Stanford gemacht, war bildhübsch, immer gut gelaunt und sprühte vor Lebensfreude. Er fragte sich, wie lange es dauern würde, bis das Leben diese Lebensfreude aus ihr herausgeprügelt hatte. Irgendwie schaffte es das immer. Solcher Enthusiasmus hielt nicht lange.
    »Schon okay, Sharon. Machen Sie einfach nur die Schriftsätze fertig, ja?«
    Es war faszinierend, was wir alles unterdrücken konnten, wenn wir uns Mühe gaben, dachte er. Niemand – weder seine Mandanten noch der Anwalt der Gegenpartei – hatte auch nur den geringsten Verdacht, dass er, während er in der Sitzung saß, Ratschläge gab und sich Notizen machte, vollkommen am Boden zerstört war wegen der Lügen seiner Frau. Die anwaltliche Fassade hatte keinen Riss bekommen. Er fragte sich, ob die Menschen, wir alle, immer so waren – ob alle im Besprechungsraum eine Maske aufgesetzt hatten, hinter der sie irgendwelche tiefsitzenden Schmerzen versteckten, ob die anderen, die mit ihm im Raum saßen, morgens auch völlig niedergeschlagen waren und das ebenso gut verstecken konnten wie er.
    Dave sah die panische SMS seiner Frau an. Sie wollte ihm alles erklären. Gestern Nacht war er so versöhnlich gewesen. Er liebte sie. Er vertraute ihr. Ganz egal, was es sonst noch in ihrem oder in seinem Leben gab – jeder hatte wohl irgendetwas zu verbergen, oder? Niemand war vollkommen. Die Grundlage ihrer Beziehung würde immer bestehen bleiben. Doch am Morgen war das alles wie weggeblasen – trotz der nächtlichen Wonnen. Die ganze sorgfältig zurechtgelegte, rationale Erklärung hatte plötzlich einen falschen Unterton bekommen.
    Jetzt fühlte er sich verloren.
    Irgendwann würde er mit Megan reden und sich ihre Erklärung anhören müssen. Er fragte sich, worauf es hinauslaufen und ob er ihr glauben würde. Er war versucht, sie jetzt zurückzurufen, beschloss dann jedoch, sie lieber noch ein paar Stunden schmoren zu lassen. Wieso auch nicht? Ganz egal, wie die Erklärung aussah, sie hatte ihn belogen.
    Dave sah auf den Computer-Monitor. Vermutlich würde Megan dann aber auch eine Erklärung dafür haben wollen, woher er gewusst hatte, dass sie in Atlantic City war. Er hatte noch nicht entschieden, ob er es ihr verraten wollte. Gestern Abend hatte er Abscheu bei dem Gedanken empfunden, ihr Handy per GPS orten zu lassen, aber plötzlich gefiel ihm der Gedanke, nach Lust und Laune ihren Aufenthaltsort überprüfen zu können. Das war das Problem mit dem Überschreiten von Grenzen. Und auch das Problem mit dem Vertrauensverlust.
    Er klickte auf den Link mit den GPS -Daten ihres Handys und wartete, während die Karte lud. Als sie fertig war, traute er seinen Augen nicht. Megan saß nicht heulend, reumütig und schuldbewusst zu Hause.
    Sie war schon wieder in Atlantic City.
    Was zum …?
    Er zog sein Smartphone aus der Tasche und stellte sicher, dass die GPS -Karte in der App erschien. Es funktionierte. Das bedeutete, dass er es sofort sah, wenn Megan ihren Aufenthaltsort wechselte. Gut.
    Es war wohl an der Zeit, selbst einmal nachzusehen, was sie da trieb.
    Dave schnappte sich seinen Autoschlüssel, stand auf und drückte die Taste der Gegensprechanlage. »Sharon?«
    »Ja, Mr Pierce?«
    »Ich fühl mich nicht gut. Sagen Sie bitte die restlichen Termine für heute ab.«
    Megan ging auf und ab, während Broome Rays Handynummer aufschrieb. Gestern Abend hatte sie Ray nicht danach gefragt – hatte sie auch nicht wissen wollen –, jetzt blickte sie Broome jedoch beiläufig über die Schulter und prägte sie sich ein. Sie überlegte, ob sie Ray anrufen und Broomes baldigen Besuch ankündigen sollte, eine innere Stimme sagte ihr jedoch, dass sie das lieber lassen sollte.
    Lass die Ermittlungen einfach ihren Lauf nehmen, dachte sie.
    Sie glaubte nicht, dass Ray schuldig war an … ja, an was eigentlich? Körperverletzung? Entführung? Verschleppung? Mord? Sie hatte Broome ein paar starke Argumente genannt und Ray damit so gut sie konnte verteidigt, trotzdem nagte etwas an ihr. An dieser Geschichte – Stewart Green, Carlton Flynn, den Mardi-Gras-Vermissten – passte vieles nicht recht zusammen. Vor allem wurde sie jedoch das Gefühl nicht los, dass Ray ihr etwas verschwieg.
    Wenn man sich ansah, wie nachhaltig ihn die Ereignisse in jener Nacht verstört hatten, musste mehr passiert sein, als dass eine Freundin ihn hatte sitzen lassen. Ja, sie hatten sich geliebt und alles,

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