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Wer einmal lügt

Wer einmal lügt

Titel: Wer einmal lügt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Coben
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niemand zu sehen?«
    »Richtig. Vorher hatte ich die ganze Gegend für mich allein.«
    Der Computer war hochgefahren. Broome gab ihn Ray. Die helle Sonne spiegelte sich auf dem Bildschirm, also setzten sie sich in den Wagen. Broome beobachtete die Leute, die aus den Spielcasinos kamen. Sie verhielten sich alle gleich – leicht schwankend, eine Hand über die Augen gegen die Helligkeit und heftig blinzelnd.
    »Ist Ihnen jemand entgegengekommen, als Sie ins Naturschutzgebiet gegangen sind?«, fragte Broome.
    »Nein, tut mir leid.«
    Ray war im Internet und ging auf eine Mac Webseite. Er gab einen Benutzernamen und ein Passwort ein, klickte auf ein paar Ordner und gab Broome den Laptop zurück. Es waren siebenundachtzig Fotos. Er fing hinten an, mit dem Foto, das Ray ihm anonym zugeschickt hatte. Eins fiel Broome sofort ins Auge. Die ersten Bilder konnte man alle als malerische Landschaftsaufnahmen bezeichnen, die aufgrund der Komposition einen melancholischen Touch hatten. Beim Betrachten vieler Landschaftsfotos sehnte man sich nach Einsamkeit und freier Natur, diese Fotos hingegen waren öde, leer und deprimierend – was interessant war, weil sie die Stimmung und die Intention des Fotografen sehr gut widerspiegelten.
    Broome klickte sich weiter durch die Fotos. Aus irgendeinem Grund ging ihm dabei die alberne Textzeile aus dem Song A Horse with No Name durch den Kopf: »There were plants and birds and rocks and things.« Genauso war es: Pflanzen, Vögel, Felsen und sonstiger Kram. Was genau hatte Broome zu finden gehofft? Er wusste es selbst nicht. Hinweise. Hier sah er jedoch nur öde, wenn auch künstlerisch gestaltete und bewegende Fotos von einem Ort, an dem ein Mann sein Herz verloren hatte, und andere – tja, was genau?
    »Sie sind gut«, sagte Broome.
    Ray antwortete nicht.
    Langsam schlugen Broome die bedrohliche Vorahnung und die düstere Stimmung, die Rays Arbeit ausstrahlten, aufs Gemüt. Er hatte die Fotos fast durch, als ihm etwas ins Auge fiel.
    Broome stoppte.
    »Kann man da hineinzoomen?«
    »Klar. Klicken Sie einfach die Steuerung- und die Plus-Taste.«
    Es war eins der ersten Fotos, die Ray an diesem Tag gemacht hatte. Es war aus einem anderen Blickwinkel gemacht, und das erklärte es vielleicht. Natürlich waren Bäume darauf, dazu der große Felsen und der alte Schornstein, aber Broome meinte noch etwas anderes zu sehen. Da stand etwas hinter der Ruine des alten Schornsteins. Er klickte darauf, zoomte immer näher heran. Zum Glück war die Bildqualität ausgezeichnet, so dass das Bild so gut wie nicht pixelig wurde.
    Broome merkte, wie sich ihm die Kehle zuschnürte.
    Ray sah ihm über die Schulter. »Was ist das?«
    Broome beugte sich vor. Irgendetwas ragte hinter dem Schornstein hervor. Es war grün, metallisch glänzend mit schwarzen Gummimanschetten. Man konnte nur die oberen zwanzig Zentimeter davon sehen. Aber das reichte. Er hatte im Sommer nach seinem Highschool-Abschluss für eine Umzugsfirma gearbeitet, und obwohl er nur die Griffe sah, hatte er daher eine ziemlich klare Vorstellung davon, worum es sich handelte.
    »Eine Sackkarre«, sagte Broome. »Irgendjemand hat in der Nähe der Stelle, an der diese Männer verschwunden sind, eine Sackkarre versteckt.«

DREISSIG
    M egan machte sich auf den Weg zu ihrer Schwiegermutter.
    In Gedanken war sie noch bei Harry Sutton. Es war natürlich nicht ausgeschlossen, dass der Zeitpunkt seiner Ermordung Zufall war. Sie war wegen eines siebzehn Jahre alten Vorfalls nach Atlantic City zurückgekehrt. Das junge Paar, das die Polizei suchte, war damals wahrscheinlich fünf, höchstens zehn Jahre alt gewesen. Wenn die beiden also wirklich die Täter waren, hatten Megan und ihre Vergangenheit womöglich absolut nichts mit dem zu tun, was Harry passiert war.
    Doch auch wenn ihr Gehirn sich weiter in luftiger Verleugnungs-Akrobatik übte – die Wahrheit war unübersehbar: Sie hatte Gefahr und Tod an Harry Suttons Tür geführt. Sie wusste zwar noch nicht, wie, aber tief im Herzen war Megan klar, dass sie wieder einmal Mist gebaut hatte.
    Vor zwei Wochen war sie zum ersten Mal wegen dieses mondänen Immobilienkongresses nach Atlantic City zurückgekehrt. Sie hatte sich eingeredet, dass dies nicht von großer Bedeutung wäre, weil sie ja nur wegen des Jobs in der Stadt wäre. Sie hatte wirklich geglaubt, dass die knallharte Spielerstadt, die sie immer noch vermisste, sie nicht weiter locken würde. Aber das war nur eine weitere Selbsttäuschung gewesen.

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