Wer einmal lügt
Schließlich hätte sie auch bei ihrer Gruppe bleiben können. Ein paar Möchtegern-Immobilienmakler hatten ein gemeinsames Abendessen im Rainforest Café organisiert, doch Megan hatte abgesagt. Stattdessen war sie ins La Crème gegangen.
Doch konnte man ihr das wirklich zum Vorwurf machen? Wer ging nicht gern alte Lieblingsorte besuchen, wenn man in eine Stadt zurückkehrte, die einem so viel bedeutet hatte?
Sie beschloss, es noch einmal bei Dave zu probieren. Als die Mailbox sich einschaltete, übermannte sie zum ersten Mal eine Welle des Zorns. Beim Piepton sagte sie: »Das reicht jetzt. Wir müssen reden. Deine Mutter hat ernsthafte Probleme. Werd erwachsen und ruf mich an.«
Megan legte auf und warf das Handy dann fast über den Beifahrersitz. Natürlich hatte sie schon Verständnis für sein Verhalten. Schließlich war sie im Unrecht. Aber vielleicht lag genau da das Problem? In gewisser Weise war sie schon immer im Unrecht gewesen. Und das hatte im Laufe der Jahre auf alle Aspekte der Beziehung abgefärbt. Ihr Fehler? Selbstverständlich. Aber vielleicht hatte Dave das auch irgendwann ausgenutzt. Ihre Schuldgefühle hatten dazu geführt, dass sie zu oft nachgegeben hatte. Sie bereute keinesfalls, dass sie die Kinder hatten. Sie würde die beiden gegen nichts in der Welt tauschen, aber …
Und warum rief Dave nicht zurück?
Ja, er hatte all die Jahre hart gearbeitet, die Familie versorgt, die Brötchen verdient und all das andere, was Männer zur Rechtfertigung jeglichen Blödsinns vorbringen, den sie anstellen – aber Dave machte seine Arbeit Spaß. Er blühte förmlich auf, wenn er Überstunden machte, auf Reisen war, sonntags morgens Golf spielte und hinterher zu seiner heißen, willigen Frau nach Hause kam. Auch diese Rolle hatte sie immer für ihn gespielt, selbst wenn sie nicht in der richtigen Stimmung gewesen war. Nicht, dass Dave sie je schikaniert hätte, je gemein oder hinterhältig gewesen wäre. Doch warum auch? Schließlich hatte er die perfekte Frau. Den Gedanken an eine eigene Karriere hatte sie aufgegeben. Sie kümmerte sich stattdessen um den gemeinsamen Papierkram, kaufte ein, erledigte sämtliche Fahrten für die Carpools und hielt den Haushalt in Schuss. Sie sah nach seiner Mutter, tat mehr für sie, als er je würde tun können, und nach all dem, nach all den Opfern, die sie für ihn gebracht hatte, wie behandelte er sie da jetzt?
Er ignorierte ihre Anrufe – und er hatte ihr nachspioniert.
Nicht, dass sie das nicht verdient hätte. Trotzdem. Jetzt wollte sie mit ihm reden, ihm von ihrer Vergangenheit und den Dämonen erzählen, die sie heimsuchten, ihm sagen, dass die Ehefrau, die er zu beschützen geschworen hatte, in Gefahr war. Und er ignorierte ihre verzweifelten Anrufe und benahm sich wie ein bockiges Kind.
Wieder griff sie nach ihrem Handy. Sie hatte Rays Nummer schon abgespeichert, damit sie sie nicht vergaß. Jetzt drückte sie auf die entsprechende Taste, aber bevor es zu klingeln anfangen konnte, sah sie das Schild der Sunset-Seniorenresidenz vor sich.
Benimm dich nicht wie eine Idiotin, sagte Megan zu sich selbst.
Sie legte wieder auf, parkte den Wagen und ging innerlich immer noch vor Wut kochend ins Altenheim.
Barbie folgte ihr in einem Abstand von zwei Autos.
Sie war nicht übermäßig besorgt, dass sie entdeckt werden würde – Megan Pierce schien keine Expertin darin zu sein, Verfolger ausfindig zu machen –, aber man konnte nie wissen. Die Tatsache, dass eine scheinbar einfache Hausfrau irgendwie in die ganze Sache verwickelt war, deutete darauf hin, dass mehr in ihr steckte, als auf den ersten Blick zu sehen war. Das Gleiche konnte man natürlich auch über Barbie sagen.
Beim Fahren kehrten Barbies Gedanken immer wieder zurück zu Kens überraschendem Heiratsantrag. Natürlich war das lieb und süß von ihm, aber vor allem extrem beunruhigend. Sie war immer davon ausgegangen, dass Ken die Illusionen durchschaute, von denen sie umgeben waren, dass ihre Beziehung ihm die Augen für eine neue, andere Realität geöffnet hatte. Aber offenbar war dies nicht der Fall. Selbst er durchschaute die Täuschung nicht, der wir alle von Geburt an ausgesetzt waren.
So wurde uns zum Beispiel von unseren armen, unglücklichen Eltern erzählt, dass man in diesem Leben am einfachsten das Glück fand, indem man sein Leben genauso einrichtete, wie sie es getan hatten. Diese Logik hatte Barbie nie verstanden. Wie lautete die Definition von Irrsinn? Immer wieder das Gleiche
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