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Wer einmal lügt

Wer einmal lügt

Titel: Wer einmal lügt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Coben
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summte.
    Die Sunset-Residenz versuchte mit aller Macht, etwas anderes darzustellen, als sie war. Das Äußere sollte an eine viktorianische Bed- and Breakfast-Pension erinnern, wirkte aber wie ein Fertigbauteil-Motel aus den Achtzigern mit Aluminiumverschalung, falschen Farnen und Rollstuhlrampen auf den Verandas. Auch drinnen lagen üppig-grüne Teppichböden, und die Wände waren mit zu bunten Reproduktionen von Renoir- und Monet-Gemälden geschmückt – wobei selbst die den Eindruck machten, als hätte man sie irgendwo billig auf dem Flohmarkt oder bei einem Poster-Ausverkauf erstanden.
    Megan ging an Missy Malek vorbei, die sie mit einem routiniert-besorgten Blick ansah und sagte: »Wir sollten wirklich bald miteinander reden.«
    »Nachdem ich bei Agnes war.«
    »Selbstverständlich«, erwiderte Malek und nickte ihr zu.
    Megan ging also gerade den Korridor entlang, an dem Agnes’ Zimmer lag, als ihr Handy summte und eine Telefonnummer, die sie als Rays erkannte, im Display erschien. Sie erstarrte, wusste nicht, was sie tun sollte, hatte jedoch letztlich keine Wahl. Sie drückte die Annehmen-Taste und hielt das Handy ans Ohr.
    »Hallo?«
    »Ich hab gehört, du nennst dich jetzt Megan«, sagte Ray.
    »Das ist mein echter Name.«
    »Dann könnte ich jetzt natürlich sagen, dass an unserer Beziehung gar nichts echt war.«
    »Du wüsstest aber ebenso gut wie ich, dass es gelogen wäre«, sagte sie.
    »Ja.«
    Schweigen.
    »Hat Broome dich gefunden?«, fragte sie.
    »Hat er.«
    »Entschuldige.«
    »Nein, schon in Ordnung. Es war richtig, ihm das zu sagen.«
    »Was hast du ihm erzählt?«
    »So ziemlich das Gleiche wie dir.«
    »Hat er dir geglaubt?«
    »Wohl nicht. Die Polizei durchsucht gerade meine Wohnung.«
    »Ist alles okay?«
    »Mir geht’s gut.«
    »Falls es dir irgendwie weiterhilft«, sagte Megan, »ich glaube dir.«
    Er antwortete nicht.
    »Ray?«
    Als er wieder etwas sagte, klang seine Stimme anders. Sie war leiser und zitterte leicht. »Bist du noch in Atlantic City?«
    »Nein.«
    »Kannst du noch mal zurückkommen?«
    »Warum?«
    Wieder schwieg er.
    »Ray?«
    »Ich habe dir nicht die Wahrheit gesagt«, sagte er.
    Megan spürte die Kälte. »Das verstehe ich nicht.«
    »Komm wieder zurück.«
    »Ich kann nicht. Also, wenigstens nicht sofort.«
    »Ich warte in Lucy. Ist mir egal, wie lange es dauert. Komm bitte.«
    »Ich weiß nicht.«
    Doch er hatte schon aufgelegt. Sie stand nur da und starrte ihr Handy an, bis ein Geräusch ihre Aufmerksamkeit auf sich zog. Als sie aufblickte, sah sie, wie die verwirrte Agnes mit leerem Blick aus ihrem Zimmer kam. Die grauen Haare waren vollkommen zerzaust, das Gesicht war leichenblass und die Haut so durchsichtig, dass die Adern blau durchschienen.
    Als eine Schwester ihr in den Weg trat, rief Agnes: »Tun Sie mir nicht weh!«, und wich zurück.
    »Ich würde Ihnen nie wehtun, Agnes. Ich will nur …«
    »Halt!« Agnes krümmte sich, als fürchtete sie, die Krankenschwester würde sie schlagen. Megan eilte den Flur entlang und stieß die Schwester aus dem Weg. Sie sah ihrer Schwiegermutter in die Augen, legte ihr die Hände auf die Schultern und sagte: »Schon gut, Agnes. Ich bin’s, Megan.«
    Sie kniff die Augen zusammen. »Megan?«
    »Ja. Es ist alles in Ordnung.«
    Agnes legte den Kopf schräg. »Was machst du hier? Warum bist du nicht zu Hause bei den Babys?«
    »Sie sind keine Babys mehr. Sie sind Teenager. Ich bin hergekommen, weil du mich angerufen hast.«
    »Habe ich das?« Angst zeigte sich in Agnes’ Gesicht. »Wann?«
    »Das ist jetzt nicht so wichtig. Es ist alles wieder okay. Ich bin bei dir. Du bist in Sicherheit.«
    Die Schwester sah sie mitleidig an. Megan nahm Agnes in den Arm und ging mit ihr zurück in ihr Zimmer. Hinter ihnen erschien Missy Malek, doch Megan schüttelte den Kopf und schloss die Tür. Es dauerte eine Weile, aber schließlich beruhigte sich Agnes, hörte auf zu zittern und zu jammern, bis, wie es schon öfter passiert war, ihr Blick wieder klar wurde.
    »Geht’s dir wieder besser?«, fragte Megan sie.
    Agnes nickte. »Megan?«
    »Ja.«
    »Mit wem hast du telefoniert?«, fragte Agnes.
    »Wann?«
    »Gerade eben. Als ich aus dem Zimmer gekommen bin. Da hast du hinten im Flur gestanden und telefoniert.«
    Megan wusste nicht, was sie sagen sollte. »Nur ein alter Freund.«
    »Ich wollte nicht herumschnüffeln.«
    »Nein, schon gut, es ist bloß …« Sie brach ab und kämpfte gegen die Tränen. Agnes sah sie so besorgt an, dass Megan

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