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Wer einmal lügt

Wer einmal lügt

Titel: Wer einmal lügt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Coben
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wunderbar«, sagte Megan. »Wollen Sie es sich mit uns zusammen ansehen?«
    Malek warf erst Agnes, dann Megan einen bösen Blick zu. »Das ist nicht in Ordnung.«
    Wegen des schwachen Lichts waren die Bilder grobkörnig. Als Erstes erschien ein Standbild der im Bett sitzenden Agnes. Die Nachteinstellung der Kamera verlieh dem Raum einen unheimlichen grünen Schimmer.
    Obwohl die Kamera eine Weitwinkeleinstellung hatte, die das ganze Zimmer erfasste, sah man die Angst in Agnes’ Gesicht. Ihre Augen leuchteten weiß.
    Auf dem Standbild war ein Start-Pfeil. Megan drehte sich zu Missy Malek um. Die sah Megan mit resigniertem Blick an. Megan klickte auf den Pfeil.
    Das Video lief an – und es löste das Geheimnis tatsächlich, wenn auch nicht so, wie Megan erwartet hatte.
    Der Ton wurde nicht aufgezeichnet, was wahrscheinlich auch besser war. Auf dem Bildschirm richtete Agnes sich auf. Man sah, dass sie weinte und schrie. Offensichtlich verängstigt ergriff sie ihr Kissen, um sich damit zu schützen, kauerte sich in die hinterste Ecke des Betts und zog die Knie hoch. Sie starrte den Angreifer an und schützte ihr Gesicht dabei mit der rechten Hand.
    Doch da war niemand.
    Megan verließ der Mut. Sie warf Missy Malek einen verstohlenen Blick zu. Deren Miene zeigte immer noch Resignation, aber weder Schuld noch Angst. Sie hatte es gewusst. Megan sah ihre Schwiegermutter an. Agnes betrachtete den Bildschirm mit offenem Mund. Erst wirkte sie verwirrt, doch durch den Nebel sah Megan auch Klarheit. Agnes begriff, was passierte. Ein Teil ihres Hirns akzeptierte, was geschah, ein größerer Teil jedoch nicht. Es war, als würde man jemandem unvermittelt erzählen, dass oben unten wäre und links rechts.
    »Er hat sich unsichtbar gemacht«, sagte Agnes.
    Doch ihre Worte kamen nicht von Herzen.
    Es kam Megan wie eine Stunde vor – in Wahrheit waren es vielleicht gerade zwei Minuten –, bis eine Krankenschwester auf dem Bildschirm erschien und Agnes beruhigte. Megan sah, dass die Schwester eine Tasse in der Hand hielt. In der anderen hatte sie Tabletten. Agnes nahm sie und trank einen Schluck aus der Tasse nach, in der vermutlich Wasser war. Dann lehnte sie sich zurück. Die Schwester deckte sie behutsam zu, wartete noch einen Moment und verließ dann langsam das Zimmer.
    Eine Minute später stoppte das Video.
    Man musste Malek zugutehalten, dass sie kein Wort sagte. Agnes starrte auf den Bildschirm und wartete darauf, dass noch etwas geschah. Die Kamera hatte sich hinterher noch ein Mal kurz eingeschaltet. Die in der unteren Ecke eingeblendete Digitaluhr zeigte, dass etwa eine Stunde vergangen war. Agnes und Megan beugten sich vor, um alles genau zu erkennen, doch es war nur die Schwester, die kurz hereinschaute und nachsah, ob alles in Ordnung war.
    Agnes schlief währenddessen.
    Das war alles.
    »Du hast ihn doch gesehen, oder?«, sagte Agnes und deutete auf den Bildschirm. »Mit dem Messer? Einmal hat er einen Kojoten und eine Giftflasche dabeigehabt.«
    Ohne ein Wort zu sagen, verschwand Malek aus dem Zimmer.
    »Megan?«, sagte Agnes mit brüchiger Stimme.
    »Schon gut«, sagte Megan, die wieder einmal in einer Welle der Verzweiflung zu ertrinken drohte. Mist. Was war sie doch für eine Idiotin. Hatte sie tief im Innersten nicht gewusst, was die Überwachungskamera zeigen würde? Hatte sie wirklich geglaubt, dass ein Mann mit einem Messer (von dem gelegentlich auftauchenden Kojoten und der Giftflasche gar nicht zu reden) nachts in dieses Zimmer kam, um eine alte Frau zu erschrecken? Das nannte man dann wohl Wunschdenken. Agnes war dem am nächsten gekommen, was eine Frau wie Megan – eine Frau, die fast ihr ganzes Erwachsenenleben eine Lüge gelebt hatte – als Vertraute und beste Freundin haben konnte. Erst heute hatte sie erfahren, wie nah sie sich wirklich standen: All die Jahre hatte Agnes zwar nicht die Wahrheit gekannt, war ihr aber doch sehr nahe gekommen. Und sie hatte ihr nichts ausgemacht.
    Agnes hatte Megan besser gekannt als jeder andere – und sie hatte sie trotzdem gemocht.
    »Du musst jetzt nach Hause gehen«, sagte Agnes versonnen. »Du musst dich um das Baby kümmern.«
    Das Baby. Einzahl. Das menschliche Fernsehgerät hatte wieder auf einen anderen Kanal oder zumindest in eine andere Zeitzone umgeschaltet. Aber Agnes hatte recht. Es reichte. Sie war lange genug der Vergangenheit hinterhergelaufen. Sie hatte lange genug mit den Lügen gelebt. Ihr Schwiegervater – der verstorbene, in

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