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Wer einmal lügt

Wer einmal lügt

Titel: Wer einmal lügt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Coben
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Problem bestand darin, dass es für die meisten von ihnen unerreichbar war.
    »Was kann ich noch für dich tun, mein Süßer?«
    Er drehte sich um. Lorraine stand vor ihm. Sie hatte sich ein Geschirrtuch über eine Schulter gelegt. Ihre Ohrringe hingen baumelnd herab. Ihre Haare hatten die Farbe und Beschaffenheit von Stroh. Ihre Lippen sahen aus, als sollte eine Zigarette dazwischen klemmen. Sie trug eine weiße Bluse, die sie absichtlich nicht weit genug zugeknöpft hatte.
    »Oh, ich glaube, ich hatte schon genug«, antwortete Ken.
    Lorraine betrachtete ihn mit demselben schrägen Lächeln, mit dem sie auch die Stammkunden angesehen hatte. »Du bist hier in einer Bar, Hübscher. Irgendwas musst du schon trinken. Wie wär’s denn dann mit einer Cola?«
    »Ja, das wäre prima.«
    Ohne den Blick von ihm abzuwenden, warf Lorraine ein paar Eiswürfel in ein Glas, griff nach der Getränke-Zapfpistole und drückte auf eine Taste. »Und was bringt dich hierher, Süßer?«
    »Das Gleiche wie alle anderen.«
    »Wirklich?«
    Sie reichte ihm das Glas. Er trank einen Schluck.
    »Klar. Sehe ich aus, als ob ich nicht hierhergehören würde?«
    »Du siehst aus wie mein Ex – so verdammt schön, dass es eigentlich nicht gut für dich sein kann.« Lorraine beugte sich zu ihm, als wollte sie ihn in ein Geheimnis einweihen. »Soll ich dir noch was verraten? Männer, die aussehen, als ob sie nicht hierhergehören, sind unsere besten Kunden.«
    Ihr Dekolleté zog seinen Blick nach unten. Als er ihn wieder hob, sah sie ihm direkt in die Augen. Ihr Gesichtsausdruck gefiel ihm nicht – er hatte den Eindruck, als könnte diese alte Bardame irgendwie seine Gedanken lesen. Er dachte daran, wie sie gefesselt vor ihm lag und sich vor Schmerzen wand, worauf die wohlbekannte Erregung ihn erfasste. Er hielt ihrem Blick stand und beschloss, etwas auszuprobieren.
    »Wahrscheinlich liegen Sie mit dieser Einschätzung über mich richtig«, sagte er.
    »Wie bitte?«
    »Dass ich nicht hierhergehöre. Ich bin wohl reingekommen, um nachzudenken. Und vielleicht ein bisschen zu trauern.«
    Lorraine sagte: »Ach?«
    »Ein Freund von mir ist oft hier gewesen. Wahrscheinlich haben Sie von ihm in der Zeitung gelesen. Er heißt Carlton Flynn.«
    Das kurze Flackern in ihren Augen verriet ihm, dass sie ihn kannte. Ja, oh ja, sie wusste etwas. Jetzt war er an der Reihe, sie so anzusehen, als könnte er ihre Gedanken lesen.
    Sie wusste irgendetwas Wichtiges.

DREIUNDDREISSIG
    M egan sah das Messer auf sich zukommen.
    Sie hatte nie Kampfsportarten trainiert, und selbst wenn, hätte ihr das in dieser Situation wahrscheinlich nichts genützt. Sie hatte weder Zeit auszuweichen noch den näher kommenden Arm abzuwehren oder was auch immer sonst die richtige Reaktion gewesen wäre.
    Man sagt, dass sich in solchen Momenten, in denen man Gewalt ausgesetzt ist und den eigenen Tod vor Augen hat, der Lauf der Zeit verlangsamt. Das stimmte nicht ganz. Für den kurzen Augenblick, in dem die Klinge ihrer Kehle immer näher kam, verwandelte Megan sich in etwas anderes als ein hochentwickeltes menschliches Wesen. Ihr Gehirn arbeitete plötzlich im Basismodus. Selbst eine Ameise wusste, dass sie in die entgegengesetzte Richtung laufen musste, wenn jemand in ihre Nähe trat. Im Kern ging es bei allen Lebewesen nur ums Überleben.
    So lief das auch hier ab. Die ursprünglichen Funktionen in Megans Hirn, die, die schon lange vor den kognitiven Fähigkeiten existiert hatten, übernahmen. Sie dachte nicht über ihr Tun nach, handelte nicht bewusst – zumindest am Anfang nicht. Gewisse Selbstverteidigungsmechanismen sind in unserem Nervensystem einfach vorgegeben.
    Und so riss sie den Arm schützend vor ihren Hals, um das Messer davon abzuhalten, in ihre Kehle einzudringen und ihrem Leben ein Ende zu setzen.
    Die Klinge bohrte sich tief in ihren Unterarm und glitt unbehelligt durch das Fleisch, bis sie auf den Knochen traf.
    Megan schrie auf.
    Irgendwo tief unten in ihrem Gehirn nahm Megan das Knirschen des Metalls auf dem Knochen wahr, doch das interessierte sie nicht. Zumindest im Moment nicht.
    Es ging nur ums Überleben.
    Alles andere, auch die Vernunft, trat gegen diesen urtümlichsten Instinkt in den Hintergrund. Sie kämpfte buchstäblich um ihr Leben, daher überlagerte ein Gedanke alle anderen: Wenn es der Angreiferin gelang, das Messer wieder herauszuziehen, würde Megan sterben.
    Obwohl sie sich ganz auf das Messer konzentrierte, erkannte Megan irgendwo in einem versteckten

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