Wer einmal lügt
Panik zu geraten, doch das wollte ihm nicht gelingen. Er forderte Rudy auf, im Club zu bleiben und ihn sofort anzurufen, wenn Lorraine kam. Ohne ein weiteres Wort rannte er zu seinem Wagen, nahm seine Pistole und eilte zu Lorraines Haus.
Nein, bitte nicht, bitte nicht, bitte nicht …
Er forderte über die Einsatzzentrale Verstärkung an, würde aber auf keinen Fall warten, bis sie eintraf. Seine Lunge brannte. Seine Atemzüge hallten in seinen Ohren wider. Seine Augen tränten in der kühlen Morgenluft.
Das alles war egal. Es zählte nur eins.
Lorraine.
Wenn ihr etwas zustieß, wenn ihr jemand etwas antat …
Die wenigen Menschen auf der Straße stolperten etwas unsicher durch die helle Morgensonne, nachdem sie die Nacht unter Kunstlicht verbracht hatten. Broome beachtete sie nicht.
Nicht Lorraine. Bitte. Nicht Lorraine …
An der Ecke bog Broome nach rechts ab. Er sah Lorraines Haus vor sich. Er erinnerte sich an das erste Mal, als er dort war und die Nacht darin verbracht hatte. Schon komisch, wie leicht man das Offensichtliche übersah. Die Nacht hatte ihm wenig bedeutet – und ihr vermutlich sogar noch weniger –, und jetzt verfluchte er sich, weil er so dumm gewesen war.
Ein Adrenalinschub ermöglichte ihm, noch einmal zu beschleunigen, dann sprang er die kurze Treppe zur Vorderveranda herauf. Fast hätte er sich direkt gegen die Tür geworfen, sie mit der Schulter eingerannt, dann stoppte er aber doch noch.
Man rannte nicht einfach irgendwelche Türen ein. So viel war ihm klar. Aber er wollte nicht warten. Er atmete tief durch, griff dann zum Türknauf und drehte ihn.
Die Tür war nicht verschlossen.
Ihm stockte das Herz. War Lorraine so dumm, dass sie die Tür in diesem Viertel unverschlossen ließ?
Das konnte er sich nicht vorstellen.
Die Pistole im Anschlag stieß er die Tür langsam auf. Sie quietschte leise.
»Polizei!«, rief er. »Ist jemand da?«
Keine Antwort.
Er trat einen Schritt weiter ins Haus hinein. »Lorraine?«
Er hörte die Angst in seiner Stimme.
Nein, bitte nicht, bitte nicht, bitte nicht …
Seine Augen erfassten das vordere Zimmer. Es war absolut nichts Besonderes. Er sah eine Couch mit dazu passendem Sessel in einem Stil, den man in praktisch jedem Möbelhaus am Highway fand. Der Fernseher war für die heutige Zeit eher klein. Im echten Atlantic-City-Stil zeigte die Wanduhr Würfel statt Ziffern.
Auf dem Kaffeetisch standen drei Aschenbecher mit alten Bildern der Atlantic City Convention Hall am Boardwalk. Rechts war eine kleine Theke mit zwei Barhockern. Je eine Flasche Smirnoff Wodka und Gordons London Dry Gin standen wie zwei Soldaten Wache. Daneben befand sich ein Stapel der gleichen Wegwerf-Untersetzer, die auch im La Crème verwendet wurden.
»Ist da jemand? Hier ist die Polizei. Kommen Sie mit erhobenen Händen heraus.«
Immer noch nichts.
An den Wänden hingen ein paar ausgezeichnete Reproduktionen alter Burlesque-Poster. Eins vom Roxy in Cleveland, eins mit den Coney Island Red Hots und direkt vor ihm in leuchtendem Gelb eines, auf dem der Auftritt von Blaze Starr als »Miss Spontaneous Combustion« im Globe in Atlantic City angepriesen wurde.
Lorraines Wohnung war weder besonders groß noch schick, aber man erkannte sofort ihren eigenen Stil. Broome wusste, dass das Schlafzimmer links, das Bad rechts und die Küche hinten war. Er ging zuerst ins Schlafzimmer. Er fand es ziemlich unordentlich, es sah eher nach einer Garderobe aus als nach einem Ort, an dem man schlief. Lorraines knallige Arbeitskleidung hing nicht auf Bügeln, sondern an Kleiderpuppen, was aber offenbar eine bewusste Einrichtungsentscheidung war.
Allerdings war das Bett noch gemacht.
Broome schluckte und ging zurück ins Wohnzimmer. Er durfte keine Zeit mehr vergeuden. Er eilte zur Küche. Aus der Ferne sah er den avocado-grünen Kühlschrank mit den Souvenir-Magneten. Als Broome an die Tür kam, blieb er wie angewurzelt stehen.
O nein …
Er betrachtete das Linoleum unter dem Tisch und schüttelte den Kopf. Dann sah er wieder hin, genauer dieses Mal, und hoffte, dass sich etwas verändert hätte, was natürlich nicht der Fall war.
Der Küchenboden war voller Blut.
»Cassie, hast du Stewart Green getötet?«
Ray sah Cassie unverwandt in die Augen. Er wollte ihre Reaktion auf seine Worte sehen und suchte dabei, wie in jeder guten Spielerstadt üblich, nach irgendeinem verräterischen Zeichen.
»Nein, Ray, ich habe ihn nicht getötet«, sagte sie. »Und du?«
Ray betrachtete
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