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Wer einmal lügt

Wer einmal lügt

Titel: Wer einmal lügt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Coben
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fast umgekehrt – nichts war real, bis er es mit seiner Kamera festgehalten hatte.
    Der rechte Weg führte auf eine Klippe, von der man einen tollen Blick auf die Skyline von Atlantic City hatte. Nachts flimmerte das Meer dahinter wie ein glänzender, dunkler Vorhang. Wenn man den Weg durch das Gestrüpp nicht scheute, wurde man mit einer atemberaubenden Aussicht belohnt.
    Ray schoss Fotos, während er den abgelegenen Pfad entlangging. Er hatte die ganze Zeit die Kamera vor Augen, als könnte sie ihn schützen. Die Ruinen der alten Eisenerzmine befanden sich am Rand der Pine Barrens, einem Naturschutzgebiet und New Jerseys größtem Waldgebiet. Vor vielen Jahren hatte Ray den Pfad einmal verlassen und war tief in den Wald gegangen. Er hatte eine längst verlassene Zementfabrik entdeckt, die mit Graffiti übersät war – einige schienen satanistische Themen aufzugreifen. In den Pine Barrens gab es noch jede Menge Ruinen von Geisterstädten. Es gingen Gerüchte um, dass in den Tiefen der Wälder üble Verbrechen begangen wurden. Wenn man sich irgendein beliebiges Portrait der amerikanischen Mafia im Kino ansah, dann gab es darin garantiert auch eine Szene, in der Auftragskiller eine Leiche in den Pine Barrens vergraben. Ray dachte viel zu oft daran. Er bildete sich ein, dass jemand eines Tages ein Gerät erfinden würde, das einem verriet, was in der Erde unter einem vergraben war, das Knochen, Stöcke, Wurzeln und Felsen unterscheiden konnte – wer weiß, was man dann alles finden würde?
    Ray schluckte und schob den Gedanken beiseite. Als er den alten Schmelzofen der Eisenerzmine erreichte, zog er sein Foto von Carlton Flynn heraus und studierte es. Flynn stand drüben auf der linken Seite und ging auf den Pfad zu – denselben Pfad, den Ray vor siebzehn Jahren gegangen war. Warum? Was wollte Carlton Flynn hier? Natürlich könnte er einfach spazieren gegangen sein, oder er wollte sich die alte Mine ansehen. Aber warum war er gerade jetzt, genau siebzehn Jahre, nachdem Ray hier gewesen war, genau an diesem Ort aufgetaucht und dann verschwunden? Und wohin war er von hier aus gegangen?
    Keine Ahnung.
    Rays Hinken war normalerweise kaum noch zu sehen. Nur wenn man ganz genau hinguckte, erkannte man es noch, aber Ray hatte gelernt, es zu verbergen. Als er jetzt jedoch den Pfad den Berg hinaufging, um sich genau an die Stelle zu begeben, von der er das Foto von Carlton Flynn gemacht hatte, machte sich das Zwicken der alten Verletzung deutlicher bemerkbar. Auch der Rest seines Körpers schmerzte noch vom nächtlichen Überfall – doch all das interessierte Ray in diesem Moment nicht.
    Ihm fiel etwas ins Auge.
    Er blieb stehen und sah sich den Weg genau an. Die Sonne strahlte vom Himmel. Vielleicht lag es daran – oder am seltsamen Winkel auf der kleinen Anhöhe. Vom Pfad aus hätte man es wohl nicht gesehen, aber dort, am Waldrand, am großen Fels, reflektierte etwas das Sonnenlicht. Ray runzelte die Stirn und ging darauf zu.
    Was zum …?
    Als er dort war, beugte er sich hinunter, um es sich genauer anzusehen. Er streckte die Hand aus, zuckte aber zurück, bevor er es berührt hatte. Dann nahm er ganz automatisch die Kamera und fing an, Fotos zu machen.
    Auf dem Boden fast hinter dem großen Felsen war eine Spur aus getrocknetem Blut.

FÜNF
    M egan saß im Bett und las eine Zeitschrift. Dave lag mit der Fernbedienung in der Hand neben ihr und sah fern. Für Männer war die Fernbedienung so etwas wie ein Schnuller oder eine Schmusedecke. Sie konnten einfach nicht fernsehen, ohne sie immer parat zu haben.
    Es war kurz nach zehn. Jordan schlief schon. Kaylie natürlich noch nicht.
    Dave sagte: »Möchtest du das Vergnügen haben oder soll ich?«
    Megan seufzte. »Du bist schon gestern und vorgestern gegangen.«
    Dave lächelte, ohne den Blick vom Fernseher abzuwenden. »Am Abend davor auch. Aber wir wollen ja jetzt nicht anfangen und das kleinlich gegeneinander aufrechnen.«
    Sie legte die Zeitschrift zur Seite. Kaylie musste jeden Abend um Punkt zehn im Bett sein, ging aber nie von selbst, sondern wartete darauf, dass ihre Eltern sie dazu aufforderten. Megan stand auf und ging den Flur entlang. Sie hätte auch »Geh jetzt SOFORT ins Bett!« rüberrufen können, aber das wäre ebenso anstrengend gewesen, und womöglich wäre Jordan davon noch aufgewacht.
    Also steckte Megan den Kopf ins Zimmer ihrer Tochter. »Schlafenszeit.«
    Kaylie wandte nicht einmal den Blick vom Computermonitor ab. »Nur noch eine Viertelstunde,

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