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Wer einmal lügt

Wer einmal lügt

Titel: Wer einmal lügt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Coben
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darüber nachdachte, erklärte seine Rückkehr womöglich alles. Ihre Begeisterung verwandelte sich urplötzlich in Angst. Sie hatte damals viele gute Zeiten erlebt, pulsierend und aufregend – aber auch sehr, sehr furchterregende Zeiten.
    Doch wenn man darüber nachdachte, gehörte das nicht zusammen? War das nicht der Kern dieser ganzen Sache?
    Stewart Green. Für sie war er nur noch ein Geist gewesen, der eigentlich längst begraben war. Aber am Ende konnte man einen Geist gar nicht begraben, oder?
    Sie erschauerte, legte den Arm um Daves Hüfte und drückte sich näher an ihn. Zu ihrer Überraschung nahm er ihre Hand und sagte: »Ist alles okay, Schatz?«
    »Mir geht’s gut.«
    Schweigen. Dann sagte er: »Ich liebe dich.«
    »Ich liebe dich auch.«
    Megan fürchtete, nicht einschlafen zu können, tat es dann aber doch. Sie stürzte in den Schlaf, als wäre sie von einer Klippe gefallen. Als ihr Handy um drei Uhr morgens klingelte, lag sie immer noch direkt hinter ihrem Mann und hatte den Arm über seine Hüfte gelegt. Dennoch griff ihre Hand ohne jedes Zögern nach dem Telefon. Megan überprüfte die Nummer auf dem Display, was allerdings vollkommen überflüssig war.
    Im Halbschlaf fluchte Dave kurz und sagte: »Geh nicht ran.«
    Doch das konnte Megan nicht. Sie rollte sich schon aus dem Bett und suchte mit den Füßen nach den Hausschuhen. Dann hielt sie sich das Handy ans Ohr. »Agnes?«
    »Er ist bei mir im Zimmer«, flüsterte die alte Frau.
    »Das ist in Ordnung, Agnes. Ich mache mich sofort auf den Weg.«
    »Bitte beeil dich.« Die Angst in der Stimme der alten Frau war so unüberhörbar, als würde daneben ein rotes Neonschild blinken. »Ich glaube, er will mich umbringen.«
    Broome zeigte die Polizeimarke gar nicht erst, als er ins La Crème marschierte, das sich selbst als »Gentlemen’s Lounge« bezeichnete – ein Begriff, der in so vieler Hinsicht eine Beschönigung war – und das rein geographisch gerade einmal zwei kleine Blocks von Atlantic Citys Boardwalk entfernt lag (in vielen anderen Beziehungen jedoch zwei sehr große Blocks). Der Türsteher, ein alter Hase namens Larry, kannte ihn sowieso.
    »Yo, Broome.«
    »Hey, Larry.«
    »Arbeit oder Vergnügen?«, fragte Larry.
    »Arbeit. Ist Rudy da?«
    »Im Büro.«
    Es war zehn Uhr morgens, trotzdem saßen ein paar mitleiderregende Kunden im Laden und sahen den noch mitleiderregenderen Tänzerinnen zu. Ein Angestellter baute das ach so beliebte All-you-can-eat-Büfett auf, wobei er wer-weiß-wie-alte Tabletts von wer-weiß-wo nebeneinander auf einen Tresen stellte. Es wäre abgedroschen zu behaupten, dass dieses Büfett nur darauf wartete, eine Salmonellen-Epidemie auszulösen, aber manchmal mussten Wahrheiten auch dann ausgesprochen werden, wenn sie abgedroschen waren.
    Rudy saß hinter seinem Schreibtisch. Er hätte als Statist bei den Sopranos einsteigen können – der Casting-Direktor hätte ihn höchstens abgelehnt, weil er zu genau dem erforderlichen Typ entsprach. Er war kräftig gebaut und trug eine so dicke Goldkette, dass man daran den Anker eines Kreuzfahrtschiffs hätte hochziehen können, und einen Ring am kleinen Finger, der den meisten seiner Tänzerinnen als Armreif gereicht hätte.
    »Hey, Broome.«
    »Was geht ab, Rudy?«
    »Kann ich irgendwas für Sie tun?«
    »Wissen Sie, wer Carlton Flynn ist?«, fragte Broome.
    »Klar. Ein kleiner, degenerierter Poser mit Show-Muskeln und Studio-Bräune.«
    »Wissen Sie auch, dass er vermisst wird?«
    »Yep, ich hab da was läuten hören.«
    »Sie brauchen deshalb aber nicht gleich in Tränen ausbrechen.«
    »Ich habe mich schon völlig ausgeheult«, sagte Rudy.
    »Können Sie mir etwas über ihn erzählen?«
    »Die Mädchen sagen, er hat einen kleinen Schwanz.« Rudy zündete sich eine Zigarre an und deutete damit auf Broome. »Anabolika, mein Freund. Lassen Sie die Finger davon. Ihre Cojones schrumpfen, bis sie nur noch so groß wie Rosinen sind.«
    »Vielen Dank, sowohl für den Gesundheitstipp als auch für das anschauliche Bild. Sonst noch was?«
    »Wahrscheinlich hat er diverse Clubs besucht«, sagte Rudy.
    »Richtig.«
    »Warum gehen Sie mir dann auf die Nerven?«
    »Weil er vermisst wird. Wie Stewart Green.«
    Rudys Augen weiteten sich. »Na und? Wie lange ist das jetzt her? Zwanzig Jahre?«
    »Siebzehn.«
    »Jedenfalls verflucht lange. An einem Ort wie Atlantic City ist seitdem ein ganzes Leben vergangen.«
    Das traf zu. Die Menschen lebten hier wie in Hundejahren. Sie alterten

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