Wer einmal lügt
viel schneller als normal.
Und ja, obwohl das nie jemand an die große Glocke gehängt hatte, war Stewart Green, liebender Vater von Brandon und der kleinen Susie und hingebungsvoller Ehemann der krebskranken Sarah, ein großer Anhänger des Flaschenservices im La Crème und der Gesellschaft von Stripperinnen gewesen. Er hatte sich dafür eigens eine Kreditkarte angeschafft und die Rechnungen an seine Büroadresse schicken lassen. Broome hatte es Sarah irgendwann so schonend wie möglich mitgeteilt – und ihre Reaktion hatte ihn überrascht.
»Viele verheiratete Männer gehen in solche Clubs«, hatte Sarah gesagt. »Da ist doch nichts dabei.«
»Hast du das gewusst?«
»Ja.«
Doch das war eine Lüge. Er hatte in ihren Augen gesehen, dass sie verletzt war.
»Das spielt aber auch keine Rolle«, behauptete sie.
In einem Punkt hatte sie allerdings recht. Die Tatsache, dass ein Mann Spaß daran hatte, unschuldig zu gaffen oder sogar gelegentlich aushäusig ein Rohr zu verlegen, änderte nichts daran, dass es wichtig war, ihn ausfindig zu machen. Andererseits ergab sich ein ziemlich gespenstisches und verstörendes Bild, als Broome anfing, die Angestellten und Stammgäste des La Crème zu vernehmen.
»Stewart Green«, sagte Rudy. »Den Namen habe ich schon sehr lange nicht mehr gehört. Was hat der denn mit Carlton Flynn zu tun?«
»Nicht viel, Rudy.« Broome wusste, dass Green und Flynn nur sehr wenig gemeinsam hatten. Stewart Green war verheiratet, Vater von zwei Kindern und ein hart arbeitender Mann. Carlton Flynn war Single, verhätschelt und lebte von Daddys Geld. »Aber erstens sind beide genau am gleichen Tag verschwunden, wenn auch siebzehn Jahre voneinander getrennt. Und zweitens …«, fuhr Broome mit einer weit ausholenden Geste fort, »… waren beide Gäste dieses exklusiven Etablissements.«
In Filmen arbeiteten Typen wie Rudy nie mit der Polizei zusammen. In der Realität jedoch hatten auch sie keine Lust auf Ärger oder frei rumlaufende Verbrecher. »Okay, und wie kann ich Ihnen jetzt helfen?«
»Hatte Flynn ein Lieblingsmädchen?«
»Sie meinen wie Stewart Cassie?«
Broome sagte nichts und ließ die dunkle Wolke vorüberziehen.
»Weil nämlich keins von meinen Mädchen verschwunden ist, falls das Ihre Frage war.«
Broome sagte immer noch nichts. Stewart Green hatte hier tatsächlich ein Lieblingsmädchen gehabt. Auch sie war in jener Nacht vor siebzehn Jahren verschwunden. Die Spitzenkräfte vom FBI hatten Broome und dem Atlantic City Police Department den Fall augenblicklich entzogen, als sie noch glaubten, es ginge um einen angesehenen, unbescholtenen Bürger – und hatten sofort eine plausibel klingende Theorie entwickelt, die dann auch allgemein akzeptiert wurde.
Stewart Green war mit einer Stripperin durchgebrannt.
Aber Sarah wollte nichts davon wissen, und Broome hatte es auch nie richtig geglaubt. Green mochte ein narzisstischer Widerling gewesen sein, der nebenbei gerne noch ein bisschen was laufen hatte – aber einfach Familie und Kinder zurückzulassen und aus der Stadt verschwinden? Das passte nicht. Keins von Stewart Greens Konten war je wieder angerührt worden. Weder Geld noch sonstige Vermögenswerte waren verschwunden. Er hatte keine Taschen gepackt, nichts verkauft, und auch auf der Arbeit gab es nicht das geringste Anzeichen dafür, dass er eine Flucht geplant hatte. Ganz im Gegenteil: Auf seinem sauberen, systematisch geordneten Schreibtisch lag ein so gut wie abgeschlossener Vertrag, der der größte Deal in Stewarts Karriere gewesen wäre. Stewart Green hatte ein geregeltes Einkommen, einen guten Job, liebevolle Eltern und Geschwister, und er war in der Gemeinde verwurzelt.
Falls er durchgebrannt war, deutete alles darauf hin, dass er einer spontanen Idee gefolgt war.
»Okay, ich hör mich mal um. Stell fest, ob Flynn ein Mädchen besonders gern mochte. Noch was?«
Bisher hatte Broome zehn Männer ausfindig machen können, die mehr oder weniger in das Vermissten-Muster passten. Seine Exfrau und Partnerin Erin Anderson hatte sogar Fotos dreier dieser Männer aufgetrieben. Es würde eine Weile dauern, bis sie weitere hatten. Er gab Rudy die Fotos. »Kennen Sie einen der Männer?«
»Sind das Verdächtige?«
Broome runzelte die Stirn. »Kennen Sie die Leute oder nicht?«
»Ach Gottchen nochmal. Schon gut, entschuldigen Sie, dass ich gefragt habe.« Rudy sah sich die Fotos an. »Ich weiß nicht. Der hier kommt mir irgendwie bekannt vor.«
Peter Berman.
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