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Wer einmal lügt

Wer einmal lügt

Titel: Wer einmal lügt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Coben
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hatte sie einfach in einem langen Redefluss fantasiert. Sie hatte über ihre Kindheit schwadroniert, von ihrer kleinen Schwester Beth erzählt und die Theorie aufgeworfen, dass Ken und Barbie Engel wären, die der Himmel geschickt hätte, um sie zu retten. Sie erwähnte einen Polizisten namens Broome, ihren Boss Rudy und diverse andere Leute aus dem Club. Sie erzählte auch von Carlton Flynn – unter anderem, dass er derjenige war, der ihr den Finger gebrochen hatte, und dass er an diesem letzten Abend einfach nicht aufgetaucht war.
    Aber bedauerlicherweise wusste Tawny nichts über Carlton Flynns aktuellen Aufenthaltsort.
    Tawny lag wie eine kaputte Lumpenpuppe auf dem Fußboden. Sie gab unzusammenhängende Worte und Laute von sich. Barbie streichelte Ralphie und versuchte den Pudel zu beruhigen. Sie lächelte Ken dabei an, dem dieser Blick das Herz erwärmte.
    »Woran denkst du?«, fragte er.
    »Die Playlist.«
    Er war nicht überrascht. Barbie war so eine Perfektionistin. »Was ist damit?«
    »Ich hoffe, du bist da aufgeschlossen.«
    »Das bin ich.«
    »Versprochen?«
    »Versprochen.«
    Barbie seufzte und richtete wieder ihren Pferdeschwanz. »Ich finde, wir sollten die Show mit Let the River Flow eröffnen und dann mit What Color Is God’s Skin? fortsetzen.«
    Ken dachte darüber nach. »Und wann spielen wir Freedom Isn’t Free ?«
    »Direkt vor dem Schlussstück.«
    »Das ist extrem spät.«
    »Ich glaube, es funktioniert.«
    »Das geht aber nur«, sagte er, »wenn wir Jazz-Hände in die Choreographie einbauen.«
    Barbie runzelte die Stirn. »Du weißt, was ich von Jazz-Händen halte.«
    Ken und Barbie waren Gruppenleiter bei Camp SonLit. Das T am Ende hatte die Form eines Kreuzes. Dort hatten sie sich kennengelernt und erste Kontakte geknüpft. Allerdings nicht auf diese Art. Bei ihnen war alles äußerst anständig abgelaufen. Tatsächlich hatten beide ein Keuschheitsgelübde abgelegt, das, wie Ken glaubte, ihnen Disziplin gab und half, ihre Energie konzentriert einzusetzen.
    Ken war im Lager eine Art Star gewesen, daher hatte Barbie Wert darauf gelegt, sich mit ihm zu treffen und sich mit ihm anzufreunden. Ein Jahr vorher war Ken einer der wichtigsten Sänger bei der ultra-exklusiven Up with People- Tour gewesen, die rund um die Welt für die berühmte »Leadership«-Organisation aufgetreten war. Es war keine Liebe auf den ersten Blick gewesen, aber von Anfang an hatten sie eine gegenseitige Anziehung empfunden. Beide hatten es gespürt. Was genau sie miteinander verband, fanden sie dann heraus, als ein anderer Gruppenleiter namens Doug Waites ihren Weg kreuzte.
    Waites war der Chef der Gruppenleiter und für die Jungs im Alter von zehn bis zwölf Jahren verantwortlich. Eines Nachts, nachdem die Camper im Bett lagen und die Nachtgebete gesprochen waren, war Barbie zu Ken gekommen und hatte ihn um Hilfe gebeten. Waites ließ sie nicht zufrieden, hatte Barbie Ken erzählt. Er hätte sie mehrmals gebeten, mit ihm auszugehen. Außerdem sähe er ihr bei jeder sich bietenden Gelegenheit in den Ausschnitt. Er spräche auf unangemessene Weise mit ihr und behandle sie in vielerlei Beziehung auf eine Art, die sie als respektlos empfinde.
    Als er das hörte, ballten sich Kens Hände zu Fäusten.
    Nachdem Barbie ihren Bericht über Waites’ Missetaten beendet hatte, machte Ken ihr einen Vorschlag. Er sagte, wenn Waites sie das nächste Mal auf die Art anspreche, solle sie ihn auffordern, sich mit ihr zu einem Zeitpunkt ihrer Wahl an einer abgelegenen Stelle im Wald zu treffen. Barbies Augen fingen auf diese spezielle Art an zu lodern, die er zu lieben lernen sollte.
    Zwei Abende später, als die Camper wiederum nach den Nachtgebeten eingeschlafen waren, machte Doug Waites sich auf den Weg zu seinem vermeintlichen Rendezvous mit Barbie an der abgelegenen Stelle im Wald. Dann übernahm Ken. Barbie sah gebannt und fasziniert zu. Sie hatte sich schon immer zu Schmerzen hingezogen gefühlt. Sie erinnerte sich noch genau an die Deckenfresken im berühmten Dom von Florenz, wo sie auf einer Teenager-Gruppenreise gewesen war. Darauf waren die grausigsten Szenen aus der Hölle dargestellt. In einer heiligen Kirche, in die man in Shorts oder ärmellosen Kleidern nicht hineindurfte, waren nackte Menschen abgebildet – Sünder –, denen erhitzte Schürhaken ins Rektum und die Genitalien gesteckt wurden. Alles war ganz deutlich zu erkennen, jeder Tourist konnte sie betrachten. Die meisten Teenager hatten angewidert den Blick

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