Wer einmal lügt
bei einem Telefonat die Lüge in ihrer Stimme gehört und sie mit weiteren Fragen behelligt hätte.
Dann nahm sie den Drink in beide Hände und erzählte Lorraine von ihrem Treffen mit Broome.
»Erinnerst du dich noch an ihn?«, fragte Megan.
»Broome? Klar. Wir treffen uns noch gelegentlich. Guter Mann. Ich hab mal ’nen One-Night-Stand mit ihm gehabt, das muss, was weiß ich, neun oder zehn Jahre her sein.«
»Das ist doch nicht dein Ernst?«
»Man schätzt mich wegen meiner Großherzigkeit. Ich will doch immer die ganze Welt in die Arme schließen.« Lorraine polierte ein Glas mit einem alten Lappen und lächelte ihr zu. »Ehrlich gesagt mochte ich ihn.«
»Du magst jeden.«
»Sag ich doch, die Welt in die Arme schließen.«
»Besonders in Form männlicher Körper.«
Lorraine breitete die Arme aus und stellte sich in Pose. »Wäre doch auch schade, das einfach verkommen zu lassen.«
»Auch wieder wahr.«
»Aaalso«, sagte Lorraine gedehnt, »hast du Broome erzählt, dass ich Stewart Green eventuell gesehen habe?«
»Nein.«
»Warum nicht?«
»Ich wusste nicht, ob dir das recht ist.«
»Könnte bedeutsam sein«, sagte Lorraine.
»Könnte es.«
Lorraine polierte immer noch dasselbe Glas. Dann sagte sie: »Wahrscheinlich war’s auch gar nicht Stewart.«
Megan sagte nichts.
»Na ja, wahrscheinlich sah er ihm nur ähnlich. Jetzt, wo ich mir deine Geschichte so anhöre. Du hast ihn doch tot gesehen, richtig?«
»Gut möglich.«
»Und wenn du ihn tot gesehen hast, kann ich ihn nicht lebendig gesehen haben.« Lorraine schüttelte den Kopf. »Mann, hab ich das jetzt gerade gesagt? Ich brauche unbedingt einen Drink. Na ja, da muss ich mich wohl geirrt haben.«
»Ist schon heftig, sich bei so etwas zu irren«, sagte Megan.
»Ja, schon.« Lorraine stellte das Glas beiseite. »Aber gehen wir doch einfach mal davon aus, dass ich wirklich Stewart Green gesehen habe.«
»Okay.«
»Wo ist er dann die letzten siebzehn Jahre gewesen? Was hat er die ganze Zeit gemacht?«
»Und«, fügte Megan hinzu, »warum ist er jetzt zurückgekommen?«
»Genau«, sagte Lorraine.
»Vielleicht sollten wir Broome das erzählen.«
Lorraine überlegte. »Vielleicht.«
»Ich meine, wenn er wirklich wieder zurückgekommen ist …«
»Ja, erzähl’s ihm«, sagte Lorraine und schlug mit dem Lappen auf die Theke. »Aber verrat ihm nicht, von wem du das gehört hast, okay?«
»Ich werde dich aus der Sache raushalten.«
»Das find ich gut.«
»Trotz deiner Großherzigkeit.«
Lorraine polierte ein Glas zu gründlich. »Und was nun, Schätzchen?«
Megan zuckte die Achseln. »Jetzt fahr ich nach Hause.«
»Einfach so?«
»Wenn Stewart Green wirklich wieder aufgetaucht ist …« Sie erschauerte bei dem Gedanken.
»Dann wärst du in ernster Gefahr«, sagte Lorraine.
»Eben.«
Lorraine beugte sich über die Theke. Ihr Parfum roch nach Jasmin. »Hat Broome dich gefragt, warum du zurückgekommen bist?«
»Yep.«
»Und du hast ihm diesen ganzen Mist erzählt, dass du die Wahrheit wissen musst und so weiter?«
»Mist?«
»Ja, Mist«, sagte Lorraine. »Du warst siebzehn Jahre lang verschwunden. Und urplötzlich musst du die Wahrheit wissen?«
»Brrr, was erzählst du denn da? Du bist zu mir gekommen, weißt du noch?«
»Das meine ich nicht«, sagte Lorraine. Sie sprach leiser. »Du bist doch vorher schon ein paar Mal hier gewesen, oder?«
Megan rutschte auf ihrem Hocker nach hinten. »Ein Mal.«
»Gut, dann eben nur ein Mal. Wieso?«
Ein Gast kam an die Theke und bestellte etwas. Lorraine servierte einen Drink und eine zweideutige Bemerkung. Der Gast lachte und ging mit seinem Drink zurück an den Tisch.
»Lorraine?«
»Was ist, Süße?«
»Was ist das Geheimnis des Glücks?«
»Die kleinen Dinge.«
»Zum Beispiel?«
»Kauf dir ein paar neue Gardinen. Du glaubst gar nicht, wie viel das bringt.«
Megan sah sie zweifelnd an.
»Ach, Schätzchen, ich bin ebenso verkorkst wie alle anderen. Ich habe gerade erst gelernt, mir nicht über alles und jeden Sorgen zu machen. Verstehst du? Die Menschen ziehen in den Krieg, um für die Freiheit zu kämpfen, ja, und was machen wir dann mit dieser Freiheit? Wir legen uns Fesseln an, indem wir Besitztümer anhäufen oder Schulden machen – oder indem wir uns mit anderen Menschen einlassen. Wenn ich einen glücklichen Eindruck mache, liegt es daran, dass ich das tu, was ich will und wann ich es will.«
Megan trank ihr Glas leer und forderte Lorraine mit einer Geste auf, ihr
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