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Wer einmal lügt

Wer einmal lügt

Titel: Wer einmal lügt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Coben
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ihn war das nur ein Job. Seine Gedanken hätten kaum weiter entfernt sein können, aber wer wollte bei so einem Job auch schon voll bei der Sache sein.
    Alexandra Saperstein schien unter der Aufmerksamkeit zu schrumpfen. Sie war auf eine etwas unscheinbare Art ziemlich hübsch, duckte sich aber weg und blinzelte auf eine verschreckte Art, die nach Rays Erfahrung oft auf frühere Misshandlungen zurückzuführen war. Das Blitzlichtgewitter machte es nicht besser. Ray schaltete es aus und trat einen Schritt zurück, um der erschrockenen jungen Dame Raum zu geben, knipste aber weiter. George merkte das und warf ihm einen seltsamen Blick zu.
    Als sie das Restaurant erreichten, kam Maurice, der Küchenchef mit dem starken französischen Akzent – eigentlich hieß er Manny Schwartz und hätte wahrscheinlich eher den richtigen Hintergrund für eine Anzeige auf JDate.com gehabt –, zur Bistrotür, breitete die Arme aus und rief: »Willkommen, Monsieur George! Isch ’abe Ihren Lieblingstisch für Sie vorbereitet!«
    George sah Ray an, wartete darauf, dass er seinen Spruch brachte. Nur gut, dass Ray das Gesicht hinter der Kamera verstecken konnte, weil er damit auch seine Scham verbarg, als er rief: »Werden Sie die Presse über die Speisenfolge informieren?«
    Etwas in Ray starb.
    »Wir werden sehen«, sagte George hochnäsig.
    Das frisch gebackene Paar ging ins Bistro. Ray tat so, als wollte er ihnen folgen, und Maurice tat so, als würde er ihn hinausstoßen. Eine Kellnerin trat auf Alexandra zu und überreichte ihr einen Strauß rote Rosen. Ray fotografierte durchs Fenster. George rückte Alexandra den Stuhl zurecht. Als sie sich setzte, beruhigte sie sich etwas.
    Diese Ruhe sollte nicht lange vorhalten.
    Ray richtete die Kamera auf ihr Gesicht. Er konnte nichts dagegen tun. Er wusste, dass er eigentlich den Blick abwenden sollte – es war ähnlich, wie wenn man langsamer an einer Unfallstelle vorbeifuhr, um zu sehen, was passiert war –, doch der Künstler in ihm musste den Moment aufkeimenden Schreckens dokumentieren. Als Alexandra auf die Speisekarte sah, spürte Ray, dass sein Handy vibrierte. Er achtete nicht darauf, korrigierte die Brennweite und wartete. Zuerst machte sich Verwirrung in Alexandra Sapersteins Gesicht breit. Sie blinzelte, um sicherzugehen, dass sie ihre Augen nicht trogen. Ray wusste, dass George den Einsatz an Irrsinn noch erhöht hatte – die Einleitung auf der Speisekarte lautete jetzt:
    G EORGE UND A LEXANDRAS E RSTES D ATE
    Degustationsmenü
    Lass uns die Karte aufbewahren und unseren Enkeln zeigen!
    Langsam dämmerte Alexandra, was dort stand. Ihre Augen weiteten sich noch mehr, während ihr Gesicht erschlaffte. Sie legte die Hände auf ihre Wangen. Ray fotografierte weiter. Das hier war seine Chance auf eine Version von Edvard Munchs Der Schrei .
    Die Kellnerin schenkte Champagner ein. Das neue Drehbuch verlangte von Ray, dass er hineinstürzte und am Tisch ein Foto machte, während George den Trinkspruch ausbrachte. Er ging zur Tür. Wieder vibrierte sein Handy. Als Ray kurz aufs Display sah, erkannte er, dass Fester ihm ein Foto geschickt hatte. Absurd. Warum, um alles in der Welt, sollte Fester ihm ein Foto schicken?
    Im Bistro auf dem Weg zum Tisch scrollte Ray die SMS herunter und tippte auf den Anhang. Als George das Glas anhob, setzte Ray die Kamera an. Alexandra sah Ray hilfesuchend an. Ray warf einen schnellen Blick auf das ankommende Foto und spürte, wie sein Herz stockte.
    Die Kamera sank herab und blieb am Riemen hängen.
    George sagte: »Ray?«
    Ray starrte auf sein Handy. Tränen schossen ihm in die Augen. Er schüttelte den Kopf. Unmöglich. Die vielen Gefühle drohten, ihn zu überwältigen.
    Cassie.
    Es war ein Psychospiel – da sah ihr jemand ähnlich –, aber nein, er war sich absolut sicher. Sie hatte sich in den letzten siebzehn Jahren verändert, aber er erinnerte sich an jede Einzelheit ihres Gesichts.
    Warum? Wie? Nach all den Jahren, was war da …
    Er streckte die Hand aus und streichelte sanft mit dem Finger über ihr Gesicht.
    »Ray?«
    Ray sah weiter auf das Foto. »Alexandra?«
    Er hörte, wie der Stuhl nach hinten geschoben wurde.
    »Schon gut, Sie können gehen.«
    Das ließ sie sich nicht zwei Mal sagen. Sie sprang auf und verschwand durch die Tür. George stand auf und folgte ihr. Ray stellte sich ihm in den Weg. »Nicht.«
    »Ich versteh das nicht, Ray.«
    Alexandra floh. George sank wieder auf seinen Stuhl. Ray starrte das Foto an. Warum hatte Fester

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