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Wer einmal lügt

Wer einmal lügt

Titel: Wer einmal lügt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Coben
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fragte sie leise.
    Er deutete auf die Hand an seiner Wange. »Du hast keinen Ehering getragen.«
    Sie zog ihre Hand langsam zurück. »Warum bist du noch hier in der Stadt, Ray? Warum arbeitest du für Fester und tust nicht das, was du liebst?«
    »Das geht dich nichts an, Cassie.«
    »Aber es interessiert mich.«
    »Hast du Kinder?«, fragte er.
    »Zwei.«
    »Jungs oder Mädchen?«
    »Einen Jungen und ein Mädchen.«
    »Schön.« Ray lachte kurz auf und schüttelte den Kopf. »Du hast gedacht, ich hätte Stewart umgebracht?«
    »Ja.«
    »Ich wette, das hat dir geholfen.«
    »Wie meinst du das?«
    »Dich auch geistig von mir zu trennen. Dass du dir sagen konntest, dein Freund ist ein Mörder.«
    Sie fragte sich, ob da etwas dran war.
    Ray betrachtete ihren Ehering. »Liebst du ihn?«, fragte er.
    »Ja.«
    »Aber du empfindest immer noch etwas für mich?«
    »Natürlich.«
    Ray nickte. »Aber du willst diese spezielle Grenze nicht überschreiten.«
    »Jetzt nicht, nein.«
    »Dann werde ich mich also damit zufriedengeben müssen, dass du noch etwas für mich empfindest«, sagte er.
    »Das ist doch schon eine ganze Menge.«
    »Stimmt.« Ray legte seine Hände um ihr Gesicht. Er hatte große, wunderbare Hände, und wieder spürte sie, wie sie weiche Knie bekam. Er versuchte es mit einem verwegenen Grinsen. »Falls du diese Grenze je überschreiten willst …«
    »Dann melde ich mich bei dir.«
    Er nahm die Hände von ihrem Gesicht und trat einen Schritt zurück. Auch sie trat zurück, drehte sich um, schwang sich wieder über den Zaun und ging zurück zu ihrem Wagen.
    Sie fuhr los. Eine Zeitlang sah sie Lucy noch im Rückspiegel, doch auch das änderte sich schnell. Sie fuhr den Expressway entlang zum Garden State Parkway und dann weiter nach Hause – den ganzen Weg nach Hause zu ihrer Familie –, ohne ein einziges Mal anzuhalten.

ZWANZIG
    A n Del Flynns Anwesen hing kein Schild, auf dem »Protzig« stand, weil das schlicht überflüssig gewesen wäre. Das Leitmotiv war Weiß. Blendendweiß. Drinnen wie draußen. Es gab weiße Pseudo-Marmorsäulen, weiße Statuen von nackten Frauen, weißen Backstein, einen weißen Swimmingpool, weiße Sofas auf weißen Teppichen vor weißen Wänden. Der einzige Farbtupfer war Dels grelloranges Hemd.
    »Del, Schatz, kommst du ins Bett?«
    Seine Frau, Darya – die dritte Mrs Del Flynn – war zwanzig Jahre jünger als er. Sie trug hautenge weiße Kleidung und hatte die größten Brüste, den drallsten Hintern und die prallsten Lippen, die man kaufen konnte. Natürlich sah alles nicht echt aus, aber so mochte Del seine Frauen jetzt – wie kurvenreiche Comic-Gestalten mit überzeichneten Konturen. Manche Leute fanden es irre. Del fand es so sexy wie nur irgendetwas.
    »Noch nicht.«
    »Bist du sicher?«
    Darya trug einen weißen Seidenmorgenmantel und sonst nichts. Sein Lieblingsstück. Del wünschte sich, sein altes Verlangen – sein ewiger Lebensbegleiter, seine Geißel, wenn man so wollte, die ihn seine geliebte Maria, Carltons Mutter und die einzige Frau, die er je geliebt hatte, gekostet hatte – würde auch ohne die Hilfe einer gewissen blauen Pille zurückkehren. Doch zum ersten Mal im Leben verspürte er weder den Wunsch noch das Bedürfnis.
    »Geh zu Bett, Darya.«
    Sie verschwand – wahrscheinlich erleichtert, dachte er, dass sie in Ruhe fernsehen und irgendwann von welcher Kombination aus Wein und Pillen auch immer einfach wegdämmern konnte. Im Endeffekt waren alle Frauen gleich. Außer seiner Maria. Del lehnte sich im weißen Ledersessel zurück. Die weiße Einrichtung war Daryas Werk. Sie sagte, es stünde für Reinheit, Harmonie oder eine jugendliche Aura – irgendsolchen New-Age-Mist. Als sie sich kennenlernten, hatte Darya einen weißen Bikini getragen, und sein einziger Wunsch hatte darin bestanden, ihn zu beflecken, aber langsam wurde ihm das ganze Weiß wirklich zu viel. Ihm fehlte Farbe. Er wollte die Schuhe anlassen, wenn er durchs Haus ging. Er wollte auf der alten, dunkelgrünen Couch in der Ecke sitzen. Es war unglaublich aufwendig, so ein ganz weißes Haus in Schuss zu halten. Der Versuch, ein ganz weißes Haus in Schuss zu halten, war von vorneherein zum Scheitern verurteilt.
    Del starrte aus dem Fenster. Er trank nicht viel. Sein Vater, ein irischer Einwanderer der ersten Generation, hatte einen kleinen Pub in Ventnor Heights besessen. Del war praktisch darin aufgewachsen. Wenn man die Zerstörungen, die der Alkohol anrichten konnte, von klein auf Tag

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