Wer einmal lügt
vertraut hatte. Das war natürlich völlig unlogisch. Sie hatte eine Vergangenheit. Das wusste er. Auch er hatte eine. Wahrscheinlich traf das auf jeden Menschen zu. Und wenn man eine neue Beziehung anfing, streifte man sie ab wie eine Schlange ihre Haut. Das war gut und richtig so.
Aber bei Megan steckte irgendwie mehr dahinter. Vieles von dem, was sie ihm über ihre Vergangenheit erzählt hatte, passte nicht zusammen. Er hatte das zwar bemerkt, aber trotzdem durchgehen lassen. Unter anderem, weil er das positive Karma ihrer Beziehung nicht gefährden wollte. Selbst jetzt, nach all den Jahren, fand er es noch immer unglaublich, dass Megan sich für ihn entschieden hatte. Sie war so schön und klug, und wenn sie ihn ansah, ihm zulächelte, traf es ihn immer noch wie ein Schlag. Wenn man das Glück hatte, so etwas zu erleben, wenn man im ganz normalen Alltag immer wieder wie vom Schlag getroffen wurde, dann fragte man nicht so genau nach dem Wie und Warum.
Dave war wie vor den Kopf geschlagen gewesen von dem, was er für unverdientes Glück hielt, und hatte sich aus voller Überzeugung rausgehalten aus Megans Geheimnissen. Doch die aktuellen Ereignisse hatten ihm die Ruhe genommen. Diese fremde Riesenhand hörte nicht auf, seine Welt zu schütteln, und selbst wenn sie irgendwann wieder ins Regal zurückgestellt werden würde, hätte sie sich für immer verändert. Obwohl es ein geflügeltes Wort war, wollte niemand wirklich daran glauben, wie zerbrechlich das Leben und die Welt waren, die man sich aufgebaut hatte.
Dunkelheit hatte sich über die Stadt gesenkt. Es war still im Haus. Er überlegte, ob er sich jemals zuvor einsam gefühlt hatte – die Antwort lautete nein. Ohne noch ein weiteres Mal darüber nachzudenken, klickte Dave auf das Ikon.
Eine Landkarte erschien. Dann klickte Dave Pierce ein, zwei, drei Mal auf den Zoom-Button und näherte sich dem genauen Aufenthaltsort seiner Frau.
NEUNZEHN
M egan und Ray standen vielleicht zehn Meter voneinander entfernt und sahen sich an.
Zum ersten Mal seit jener schrecklichen Nacht vor siebzehn Jahren sah Megan den Mann, den sie geliebt und verlassen hatte. Ray erwiderte den Blick wie erstarrt, mit einer Maske aus Qual und Verwirrung in seinem immer noch attraktiven Gesicht.
Diverse widerstreitende Gefühle durchzuckten sie. Sie rührte sich nicht, dachte nicht, versuchte nicht, die Gefühle zu ordnen. Noch nicht. Sie ließ sich einfach von ihnen überwältigen, sich von ihnen zu Boden drücken und kurz darauf in die Höhe tragen. Exliebhaber sind immer die ultimativen Was-wäre-wenns, die wichtigen Wege, die man nicht genommen hat – aber bei Ray ging es noch tiefer. Die meisten Paare trennten sich aus einer bestimmten Anzahl von Gründen. Man hat sich auseinandergelebt, die Gefühle sind abgeklungen, einer hat das Interesse verloren, neue Ziele oder einfach einen neuen Partner gefunden.
Das alles war zwischen ihr und Ray nicht passiert. Sie waren vielmehr wie von einer Naturkatastrophe auseinandergerissen worden, und als das geschah, war ihr Gefühl für ihn – ja, es war Liebe – so stark wie eh und je gewesen. Sie war sicher, dass es ihm ebenso ergangen war und er dasselbe für sie empfunden hatte. Sie hatten sich nicht langsam voneinander entfernt, nicht gestritten, ihre Gefühle waren nicht erkaltet. Im einen Augenblick waren sie noch in Liebe verbunden zusammen gewesen – und im nächsten wurde alles in einem See aus Blut ertränkt.
Ray rannte ohne Vorwarnung los. Sie tat das Gleiche, als wäre zwischen ihnen ein unsichtbares Tor geöffnet worden. Es warf Megan fast um. Sie umklammerten sich schweigend, ihre Wange auf seiner Brust. Sie spürte die Muskeln unter seinem Hemd. Angeblich war jeder Moment, sobald er vergangen war, unwiederbringlich verloren, tatsächlich erschrak sie aber fast darüber, wie schnell die Jahre von ihr abfielen, wie schnell wir in die Vergangenheit zurückkehren und unser altes Ich, unser wahres Ich, das wir nie ganz ablegten, wiederfinden konnten.
Eine Freundin hatte Megan einmal erklärt, dass die Menschen auf immer und ewig siebzehn Jahre alt wären und darauf warteten, dass das Leben richtig anfinge. Als sie sich hier und jetzt so an diesen Mann klammerte, verstand Megan das besser denn je.
Sie ließen einander nicht los. Fast eine Minute lang standen sie einfach so da und hielten sich unter Lucys wachsamem Blick in den Armen. Schließlich sagte Ray: »Ich habe so viele Fragen an dich.«
»Ich weiß.«
»Wo bist du
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