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Wer einmal lügt

Wer einmal lügt

Titel: Wer einmal lügt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Coben
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befänden sie sich in verschiedenen Welten.

EINUNDZWANZIG
    I m Jahr 1988 änderte das Rahway State Prison auf Forderung der Einwohner der Stadt Rahway seinen Namen offiziell in East Jersey State Prison. Diese Forderung war nur zu verständlich. Die Bewohner hatten den Eindruck, dass ihre Stadt durch die Identifikation mit dem berüchtigten Staatsgefängnis unfairerweise stigmatisiert wurde und, was noch schlimmer war, die Immobilienpreise unter Druck gerieten. Wahrscheinlich hatten sie recht. Trotzdem nannte absolut niemand mit Ausnahme der Bewohner von Rahway das Gefängnis nach der Umbenennung East Jersey State Prison. Insgesamt erging es ihnen ein bisschen wie dem Bundesstaat New Jersey. Er mochte sich zwar offiziell als »Garden State« bezeichnen, aber wer nannte ihn schon wirklich so?
    Auf dem Weg die Route 1-9 hinauf sah Broome die riesige Gefängniskuppel, ein Anblick, der ihn immer an eine große Kirche in Italien erinnerte. In diesem Hochsicherheitsgefängnis waren rund zweitausend ausschließlich männliche Gefangene untergebracht. Unter anderem hatten hier auch die berühmten Boxer James Scott und vor allem Rubin »Hurricane« Carter eingesessen – der Mann aus dem Bob-Dylan-Song und dem Film mit Denzel Washington. Außerdem waren hier in den späten Siebzigern die Scared Straight! -Dokumentarfilme gedreht worden; darin waren jugendliche Straftäter angeblich rehabilitiert worden, indem sie sich von zu lebenslänglichen Strafen verurteilten Kriminellen zur Schnecke machen ließen.
    Nachdem er das übliche Sicherheits-Brimborium hinter sich gebracht hatte, wurde Broome Ricky Mannion gegenübergesetzt. Man sagt, dass Menschen im Gefängnis schrumpfen. Sollte das auch in diesem Fall so sein, war Broome froh, Mannion nicht vor der Verhaftung begegnet zu sein. Er musste mindestens eins fünfundneunzig groß und an die hundertfünfzig Kilo schwer sein. Er war schwarz, hatte einen glattrasierten Kopf und Arme, die als Eichenstämme hätten durchgehen können.
    Broome hatte den typischen Knast-Machismo erwartet, Mannion allerdings enttäuschte ihn auf ganzer Linie. Als er Broomes Polizeimarke sah, traten ihm Tränen in die Augen.
    »Sind Sie gekommen, um mir zu helfen?«, fragte er.
    »Ich bin gekommen, um Ihnen ein paar Fragen zu stellen.«
    »Aber es geht doch um meinen Fall, oder?«
    Die beiden Männer waren durch eine Glasscheibe getrennt. Mannion saß Broome am gleichen Tisch gegenüber und war an Händen und Füßen gefesselt – trotzdem sah er aus wie der sprichwörtliche Junge, der sich an der Scheibe die Nase plattdrückte.
    »Es geht um den Mord an Ross Gunther«, sagte Broome.
    »Was haben Sie herausgefunden? Verraten Sie es mir bitte.«
    »Mr Mannion …«
    »Ich war einunddreißig, als ich verhaftet wurde. Jetzt bin ich fast fünfzig. Können Sie sich das vorstellen? Die ganze Zeit hier drin für ein Verbrechen, das ich nicht begangen habe? Und Sie wissen doch, dass ich unschuldig bin, oder?«
    »Das habe ich nicht gesagt.«
    Mannion lächelte. »Stellen Sie sich vor, wie das wäre, wenn Sie all diese Jahre verloren hätten, Detective. Die Dreißiger, die Vierziger … die ganze Zeit in diesem Drecksloch hier zu verrotten, während Sie versuchen jedem, einfach allen hier, zu erklären, dass Sie es nicht gewesen sind.«
    »Muss ziemlich hart sein«, sagte Broome. Schwere Untertreibung.
    »Und genau das tue ich. Jeden Tag. Ich erzähle von meiner Unschuld. Immer noch. Die Leute hier hören mir aber schon längst nicht mehr zu. Das hat mir schon damals niemand geglaubt. Nicht einmal meine eigene Mutter. Und jetzt glaubt mir auch keiner. Ich schreie und protestiere und seh doch immer den gleichen Ausdruck in allen Gesichtern. Selbst wenn die Leute nicht die Augen rollen, rollen sie die Augen … Verstehen Sie?«
    »Ich verstehe. Ich weiß trotzdem nicht, worauf Sie hinauswollen.«
    Mannion senkte die Stimme und flüsterte: »Sie rollen nicht die Augen, Detective.«
    Broome sagte nichts.
    »Seit fast zwanzig Jahren sitze ich zum ersten Mal jemandem gegenüber, der weiß, dass ich die Wahrheit sage. Das können Sie nicht vor mir verbergen.«
    »Wow.« Broome lehnte sich zurück und runzelte die Stirn. »Wie oft sind Sie den Leuten schon mit diesem Scheiß gekommen?«
    Doch Mannion lächelte ihm nur zu. »Sie wollen es auf diese Tour spielen? Gut. Fragen Sie mich, was Sie wollen. Ich werde Ihnen die Wahrheit sagen.«
    Broome sparte sich das Vorgeplänkel. »Als Sie das erste Mal von der Polizei vernommen

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