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Wer einmal lügt

Wer einmal lügt

Titel: Wer einmal lügt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Coben
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schließlich jahrelang getan – und sie würde es auch weiterhin tun. Aber was machte man mit diesem Gefühl, das nun einmal vorhanden war? Belog man sich selbst? Versuchte man, es zu bändigen, zu verdrängen und einfach weiterzuleben? Und war es schon Untreue, wenn sie sich eingestand, dass sie dieses Gefühl bei Dave nicht hatte – oder war das nur normal nach all den Jahren?Und war es vielleicht sogar gut so?
    Sie hatte tiefere und stärkere Empfindungen für Dave, Empfindungen, die mit den Jahren und den gemeinsamen Verpflichtungen gewachsen waren, aber vielleicht waren das auch nur schöne Worte. Diese Elektrizität – hatte sie die bei ihrem Mann überhaupt je verspürt? Und war es fair, solche Empfindungen zu vergleichen?
    Und waren nun schon allein diese Gedanken Untreue?
    Man konnte nicht alles haben. Das hatte niemand.
    Sie liebte Dave. Sie wollte ihr Leben mit ihm verbringen. Für ihn und die Kinder würde sie, ohne einen einzigen Moment zu zögern, ihr Leben opfern. War das nicht die Definition wahrer Liebe? Und wenn sie es aus einer gewissen Distanz betrachtete, war sie nicht gerade dabei, ihr Leben in Atlantic City und die Zeit mit Ray zu glorifizieren? Andererseits machten wir das doch alle, oder? Entweder verherrlichen wir die Vergangenheit, oder wir verteufeln sie.
    Sie näherte sich der Schlafzimmertür. Das Licht war aus. Jetzt fragte sie sich, ob Dave überhaupt da war – vielleicht war er unterwegs? Sie hatte schon vorher darüber nachgedacht. Er war sicher bestürzt. Und das war sein gutes Recht. Vielleicht war er abgehauen? Vielleicht war er in eine Bar gegangen, um seine Sorgen zu ertränken?
    Doch schon bevor sie die Tür öffnete, wusste sie, dass das nicht der Fall war. Dave würde die Kinder nicht allein lassen, schon gar nicht in Krisenzeiten. Eine neue Woge von Schuldgefühlen erfasste sie. Jetzt sah sie die Silhouette ihres Mannes im Bett. Er wandte ihr den Rücken zu. Als sie seine ruhig daliegende Gestalt ansah, bekam sie Angst vor seiner Reaktion, war aber auch erleichtert. Plötzlich hatte sie das Gefühl, dass es wirklich vorbei war.
    Vor siebzehn Jahren hatte Stewart Green gedroht, sie umzubringen. Diese Drohung hatte einen ebenso großen Anteil daran gehabt, dass sie in die Vergangenheit zurückgekehrt war, wie die alten Sehnsüchte – die Angst, dass Stewart irgendwie überlebt haben könnte, dass er wieder da war, aber in dem Punkt hatte Lorraine sich wahrscheinlich geirrt. Megan hatte jedenfalls getan, was sie konnte. Sie hatte richtig gehandelt. Sie war wieder zu Hause. Sie war in Sicherheit.
    Es war vorbei. Oder es würde bald vorbei sein.
    Die Entscheidung, mit der sie sich die ganze Heimfahrt gequält hatte – eigentlich sogar die letzten sechzehn Jahre –, war plötzlich ganz einfach. Sie konnte nicht mehr die ganze Zeit auf Zehenspitzen um ihre Vergangenheit herumschleichen. Dave musste alles erfahren. Sie hoffte nur, dass die Liebe nach all den Jahren die Oberhand behielt.
    Oder war das nur eine weitere besänftigende Lüge?
    Jedenfalls war sie es Dave schuldig, ihm die Wahrheit zu sagen.
    »Dave?«
    »Ist alles okay mit dir?«
    Er hatte nicht geschlafen. Sie schluckte, spürte, wie ihr die Tränen in die Augen stiegen. »Mir geht’s gut.«
    Immer noch mit dem Rücken zu ihr, fragte er: »Bist du sicher?«
    »Ja.«
    Sie setzte sich auf die Bettkante, hatte Angst, ihm näher zu kommen. Dave drehte sich nicht zu ihr um. Er rückte das Kissen zurecht, legte den Kopf dann wieder darauf.
    »Dave?«
    Er antwortete nicht.
    Als sie ihm die Hand auf die Schulter legen wollte, stieß er sie weg.
    »Willst du wissen, wo ich gewesen bin?«, fragte sie.
    Er sah sie noch immer nicht an, sagte immer noch kein Wort.
    »Verschließ dich mir bitte nicht.«
    »Megan?«
    »Was ist?«
    »Du hast mir nicht zu sagen, was ich tun oder lassen soll.«
    Schließlich drehte Dave sich zu ihr um, und sie sah den Schmerz in seinen Augen – diesen unergründlichen und unermesslichen Schmerz. Es erschütterte sie. Sie sah sofort, dass Lügen nichts bewirken würden. Andere Worte auch nicht. Also tat sie das Einzige, was ihr noch übrig blieb. Sie küsste ihn. Er zuckte kurz zurück, doch dann packte er ihren Hinterkopf und erwiderte den Kuss. Er küsste sie intensiv und zog sie dann zu sich heran.
    Sie liebten sich. Sie liebten sich lange und wortlos. Als sie fertig waren, beide völlig erschöpft, schlief Megan ein. Sie dachte, dass Dave das auch tat, war sich aber nicht sicher. Es war, als

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