Wer einmal lügt
Hippocampus liegen.«
»Haha. Aber mal im Ernst, wenn wir am Anfang …«
Barbie brach ab, als sie sah, dass die Haustür der Pierces geöffnet wurde. Ein Mann kam heraus. Er trug einen dunklen Businessanzug und hatte einen Rucksack in der Hand. Seine Haare waren nicht mehr ganz voll. Er sah müde aus und hatte hängende Schultern. Hinter ihm stand jemand in der Tür – eine Frau. Es könnte seine Ehefrau sein, war aber aus diesem Winkel schwer zu erkennen.
»Er ist sauer auf sie«, sagte Ken.
»Woher weißt du das?«
»Die Körpersprache.«
»Du übertreibst.«
Aber in dem Moment legte die Frau dem Mann die Hand auf den Arm. Er zog ihn zurück, drehte sich um und ging den Weg entlang.
Die Frau rief: »Halt, warte einen Moment.«
Er beachtete sie nicht. Die Frau kam aus dem Haus, so dass Ken und Barbie sie deutlich sehen konnten. In dem Moment drückte Barbie Kens Hand und schnappte hörbar nach Luft.
»Ist das nicht …?«
Ken nickte. »Ja.«
»Von gestern Abend in der Anwaltskanzlei.«
»Ja, ich weiß.«
Schweigen. Der Mann stieg in den Wagen und fuhr los. Die Frau ging zurück ins Haus.
»Sie hat uns gesehen«, sagte Barbie. »Sie könnte uns identifizieren.«
»Ich weiß.«
»Wir sollen darauf achten, dass die Sache nicht an die Öffentlichkeit gerät.«
»Jetzt haben wir keine Wahl mehr«, sagte Ken.
»Und wie willst du vorgehen?«
Ken überlegte einen Moment lang. »Der Ehemann«, sagte er dann.
»Was ist mit dem?«
»Die beiden haben sich gerade gestritten. Wahrscheinlich hat der eine oder andere Nachbar das mitgekriegt. Vielleicht können wir ihm das, was jetzt passiert, irgendwie anhängen.«
Barbie nickte. Es klang logisch.
Ein paar Minuten später kam ein Mädchen im Teenageralter aus der Tür und stieg in einen Schulbus. Kurz darauf kam eine Frau mit zwei Kindern zu Fuß den Gehweg hinab. Wieder wurde die Haustür der Pierces geöffnet. Ein zehn bis zwölfjähriger Junge gab seiner Mutter einen Abschiedskuss und ging.
Ken und Barbie warteten, bis die Straße leer war.
»Jetzt ist sie allein«, sagte Barbie.
Ken nickte und öffnete die Autotür. »Gehen wir auf unsere Positionen.«
»Was wolltest du dann in Atlantic City?«
Daves Worte trafen sie wie ein Tiefschlag. Megan war vollkommen benommen. Dave wartete nicht auf eine Antwort. Er drehte sich um. Doch sie fing sich und griff nach seinem Arm. »Dave?«
Er machte sich frei und ging den Weg entlang zu seinem Wagen.
»Halt, warte einen Moment.«
Er ging weiter. Sie überlegte, ob sie ihm nachlaufen sollte, aber hinter ihr rief Kaylie: »Mom? Krieg ich Essensgeld?«
Dave war schon am Wagen. Er stieg ein. Megan sank innerlich in sich zusammen.
»Mom?«
Wieder Kaylie. »Nimm dir einen Zehner aus meinem Portemonnaie. Das Wechselgeld will ich aber wiederhaben.«
Dave gab Gas, fuhr zügig aus der Einfahrt und raste dann mit quietschenden Reifen die Straße entlang. Die Kinder der Reales erschreckten von dem Geräusch. Barbara und Anthony Reale drehten sich im genau gleichen Moment um und sahen Dave mit missbilligenden Blicken hinterher. Sondra Rinsky und ihre Hunde taten das Gleiche.
»Ich seh nur einen Zwanziger«, sagte Kaylie. »Mom? Kann ich den nehmen?«
Megan schwirrte immer noch der Kopf, als sie wieder ins Haus ging und die Tür hinter sich schloss.
»Mom?«
»Ja«, sagte sie, und ihre Stimme klang in ihren eigenen Ohren sehr fern, »nimm den Zwanziger. Damit musst du dann aber den Rest der Woche auskommen.« Sie ging zurück in die Küche. Kaylie eilte aus der Tür zum Bus und ließ die Teller in der Spüle – wie immer. Megan fragte sich, wie viele Arbeitsstunden sämtliche Eltern dieser Welt zusammen wohl schon damit verschwendet hatten, ihre Kinder aufzufordern, das Geschirr nicht in die Spüle, sondern in die Spülmaschine zu stellen, und überlegte, was für eine Nation man in dieser Zeit hätte aufbauen können.
Jordan ging jeden Morgen mit zwei Freunden zur Schule, wobei sie abwechselnd ein Elternteil begleitete. Diese Woche waren die Colins dran. Dave hatte diese Regelung beinah in den Wahnsinn getrieben. Als er klein war, so hatte er gejammert, war man einfach mit den Freunden zusammen zur Schule gegangen – ein elterliches Begleitboot war nicht nötig gewesen. »Das sind nur drei Blocks!«, hatte er geklagt. »Gönnen wir ihnen doch ein bisschen Unabhängigkeit.« Aber so etwas machte man einfach nicht mehr. Heutzutage standen Kinder unter ständiger Überwachung. Man konnte das leicht beklagen und
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