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Wer einmal lügt

Wer einmal lügt

Titel: Wer einmal lügt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Coben
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Monaten hatte ein betrunkener Autofahrer eine rote Ampel übersehen und war in Marias Wagen gerast. Spätnachts. Sie war allein unterwegs gewesen, um in der Nachtapotheke ein Rezept für Carlton einzulösen. Als alleinstehende Frau machte man so etwas wohl, dachte er. Wenn sie noch mit Del verheiratet gewesen wäre, wenn sie nicht so verdammt dickköpfig gewesen wäre und ihm verziehen hätte, wäre sie um die Zeit niemals unterwegs gewesen. Sie wäre gesund, alle wären zufrieden, und sie würden immer noch zusammen auf den Minigolf-Platz gehen, im Caesars Hotel eine Runde Karten spielen, im Gallaghers ein Steak essen oder sich auf dem Boardwalk eine Portion Schmalzkuchen teilen. Aber die Chance hatte er vor langer Zeit vertan.
    »Er wird vermisst«, sagte Del, und Tränen traten ihm in die Augen. »Niemand weiß, was mit ihm passiert ist. Die Cops arbeiten dran, aber du weißt ja, dass das nicht reicht. Daher habe ich ein paar Leute angeheuert. Du kennst diese Typen. Wahrscheinlich wärst du nicht damit einverstanden, aber für deinen Jungen würdest du doch auch einen Mord begehen, stimmt’s?«
    Wieder keine Antwort. Die Ärzte hatten ihm erklärt, dass keine Hoffnung mehr bestand. Sie war hirntot. Sie hatten ihm geraten, sie sterben zu lassen. Andere hatten ihnen beigepflichtet, manche behutsam, einige mit Nachdruck. Marias Schwester hatte sogar versucht, ihm per Gericht die Betreuungsvollmacht für medizinische Notfälle aberkennen zu lassen, doch Maria hatte ihn benannt, daher hatte sie den Prozess verloren. Alle wollten den Stecker ziehen. Sie so Tag für Tag, Monat für Monat, zum Teufel, womöglich Jahr für Jahr weiterleben zu lassen war grausam, behaupteten sie.
    Aber Del konnte sie nicht gehen lassen.
    Noch nicht. Nicht bevor sie ihm vergeben hatte. Er flehte sie jeden Tag um Vergebung an. Er flehte sie an, zu ihm zurückzukommen, sie beide wieder zu dem zu machen, was sie früher waren und die ganze Zeit hätten sein sollen. Kurz gesagt, er sagte ihr all das, was er vor dem Unfall hätte sagen sollen.
    An manchen Tagen glaubte Del wirklich, dass eine Erlösung möglich wäre. Manchmal dachte er, Maria würde die Augen öffnen, sehen, was er alles für sie getan hatte, welche Opfer er gebracht hatte und mit welcher Hingabe er sich um sie kümmerte. Sie hätte alles gehört, was er bei seinen Besuchen am Krankenbett gesagt hatte, und würde ihm vergeben. Doch an den meisten Tagen – so wie heute – wusste er, dass das nicht passieren würde. Er wusste, dass sein Verhalten grausam war, dass er sie gehen lassen und sich um sein eigenes Leben kümmern musste. Er war inzwischen länger von Maria geschieden, als sie verheiratet gewesen waren. Seitdem war Del das zweite Mal verheiratet. Jetzt mit Darya.
    Es gab auch andere Tage – nur selten, aber es gab sie –, da fragte Del sich, ob er sie absichtlich und aus reiner Gehässigkeit hinhielt. Maria hatte ihm nie vergeben und damit alles kaputtgemacht. Vielleicht war er unbewusst wütend auf sie. Vielleicht war es seine Rache, sie am Leben zu erhalten. Bei Gott, er hoffte, dass es nicht so war, aber manchmal wurde er das Gefühl nicht los, dass all das nur großspuriges und selbstsüchtiges Gehabe von ihm war.
    Del konnte nicht gut loslassen. Er konnte die einzige Frau, die er je geliebt hatte, nicht loslassen.
    Und auch seinen Sohn konnte er nicht loslassen – und würde es auch niemals tun.
    »Ich werde ihn finden, Maria. Ich werde ihn finden und herbringen, und wenn du ihn siehst, ich meine, ehrlich, wenn dein armer Junge wieder zu Hause und in Sicherheit ist …«
    Es gab nichts mehr zu sagen. Er setzte sich neben sie und spielte mit seiner Antonius-Medaille. Er liebte sie. Er legte sie nie ab. Erst vor ein paar Wochen war ihm aufgefallen, dass Carlton seine nicht getragen hatte. Sein Sohn hatte sie durch zwei billige Erkennungsmarken ersetzt, als wäre er wirklich beim Militär gewesen, und verdammt, als Del das gesehen hatte, war er in die Luft gegangen. Wie konnte er es wagen? Bei dem Gedanken, dass sein Sohn seine Antonius-Medaille, die seine selige Mutter ihm geschenkt hatte, gegen diese großkotzigen Angeber-Erkennungsmarken ausgetauscht hatte, war Del in die Luft gegangen. Als Carlton mit den Schultern gezuckt und entgegnet hatte, dass Erkennungsmarken ihm gefielen, alle seine Freunde sie trügen und sie »cool« aussähen, hätte Del seinem Sohn beinahe eine gescheuert. »Dein Großvater hat Erkennungsmarken beim Sturm auf die Normandie getragen,

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