Wer einmal lügt
stimmt’s?«
Sie zögerte gerade lange genug.
»Scheiße«, sagte Broome. »Ich hab gewusst, dass Sie mir irgendwas vorenthalten – bin aber nicht darauf gekommen, was es ist. Also lassen Sie uns das Ganze mal durchgehen, ja? Ray Levine war also in der Nacht, in der Stewart Green verschwunden ist, auch in den Pine Barrens, und – nun sieh mal einer an – siebzehn Jahre später, als Carlton Flynn verschwindet, ist er zufällig auch wieder dort. Hab ich das so weit richtig zusammengefasst?«
Sie konnte Ray nicht schützen – zumindest nicht, indem sie log. »Es ist nicht so, wie Sie denken.«
»Ja, das sagten Sie schon. War Ray in der Nacht, in der Stewart Green verschwunden ist, in den Pine Barrens oder nicht?«
Megan überlegte, wie sie es am besten ausdrückte. »Wir wollten uns da treffen, ja, aber Ray ist erst später gekommen.«
»Wie viel später?«
»Nachdem ich wieder weg war.«
Broome verzog das Gesicht. »Nachdem Sie wieder weg waren?«
»Ja.«
»Das versteh ich nicht. Woher wollen Sie wissen, was passiert ist, nachdem Sie wieder weg waren?«
»Er hat es mir erzählt.«
»Ray?«
»Ja.«
»Wann?«
»Gestern Nacht.«
»Das soll doch wohl ein Witz sein, oder?« Nur mit Hilfe einer Gesichts- OP hätte Broome noch ungläubiger dreinschauen können. »Ich fass das mal kurz zusammen: Ray Levine hat Ihnen erzählt, dass er erst gekommen ist, nachdem Sie Stewart Green da in seinem Blut haben liegen sehen?«
»Ja.«
Broome zuckte die Achseln. »Tja, Teufel auch, das genügt mir natürlich. Über Ray brauch ich mir keine Gedanken mehr zu machen. Er ist eindeutig unschuldig.«
»Sehr witzig.«
»Gestern Nacht hat er Ihnen das erzählt?«
»Ja.«
»Und Sie … also … Sie haben ihm einfach so geglaubt?«
»Ja, aber …« Megan überlegte, wie sie es ihm verständlich machen konnte. »Soll ich Ihnen die Wahrheit sagen?«
»Nee, eigentlich nicht. Also, jetzt wo Harry tot ist und wir Carlton Flynns Blut in den Pine Barrens gefunden haben, wäre es mir am liebsten, Megan, wenn Sie mir noch ein paar weitere Lügen auftischen würden.«
Sie versuchte, sich zu sammeln. Ihr Herz raste, und in ihrem Kopf drehte sich alles. »Was die Nacht in den Pine Barrens betrifft, habe ich Ihnen die Wahrheit gesagt. Ich habe Stewart bei dem großen Felsen liegen sehen. Und ich dachte, er wäre tot.«
Broome nickte. »Und Sie waren dort auch mit Ray verabredet?«
»Ja.«
»Aber Sie haben ihn nicht gesehen?«
»Genau.«
»Fahren Sie fort.«
Megan holte tief Luft. »Na ja, Stewart hatte mich ziemlich übel misshandelt. Das habe ich Ihnen auch schon erzählt.«
»Wusste Ray das?«
»Ich denke schon. Aber darum geht’s nicht.«
»Sondern?«
»Stewart Green war ein schwieriger Fall: einerseits gewalttätiger Schläger, andererseits angesehener Bürger. Sehen Sie, wenn er einfach ein Nullachtfünfzehn-Arschloch gewesen wäre, würden Sie ihn dann nach so vielen Jahren noch suchen? Würden Sie am Jahrestag seines Verschwindens bei seiner Frau vorbeischauen? Wenn stattdessen, sagen wir, ein ganz normaler Arbeiter ohne Frau und Kinder vermisst worden wäre, hätten Sie sich dann so intensiv damit befasst?«
Die Antwort lag auf der Hand: Nein. Das überzeugte Broome. Es erklärte auch, warum er das Mardi-Gras-Muster so lange nicht erkannt hatte. Bermans Frau hatte ihren Mann gehasst. Wagman war ein LKW -Fahrer auf der Durchreise. Megans Anschuldigung traf zu – war aber trotzdem vollkommen irrelevant, was Ray Levines Rolle in diesen Fällen betraf.
»Wir Cops haben also unsere Lieblinge«, sagte Broome und verschränkte die Arme. »Gibt ’ne große Sondermeldung in den Nachrichten. Na und?«
»Darum geht’s mir nicht.«
»Und worum dann?«
»Als ich Stewart Green da liegen sah und ihn für tot hielt, hab ich natürlich gedacht, dass Ray was damit zu tun hat.«
»Haben Sie Ray geliebt?«
»Vielleicht.«
»Ein Vielleicht will ich nicht mehr hören.«
»Okay, also wahrscheinlich schon.«
Broome fing an, auf und ab zu gehen. »Sie sind also nicht nur abgehauen, um sich selbst zu schützen. Sie wollten auch den Mann schützen, den Sie liebten.«
»Die Cops hätten es einem von uns angehängt, so viel war sicher«, sagte Megan. »Wenn ich geblieben wäre, wäre einer von uns, wenn nicht sogar beide, im Gefängnis gelandet. So wie Ricky Mannion.«
Broome lächelte.
»Was ist?«
»Das klingt alles ganz wunderbar und dramatisch, Megan, es fehlt aber ein Punkt: Sie dachten, Ray hätte es getan,
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