Wer hat Alice umgebracht?
gegen Missgunst war auch ich nicht immun.
„Aber es war doch noch gar nicht allgemein bekannt, dass ich diese Studienförderung bekommen sollte. Das hast du gerade selbst gesagt.“
„Nein, aber ungefähr ein Dutzend Leute in der Uni-Verwaltung wussten natürlich schon jetzt davon. Die Professoren aus der Vergabekommission, außerdem Lucas Thompson und noch ein paar andere Verwaltungsleute. Wenn auch nur einer von ihnen seinen Mund nicht halten konnte, dann hat die falsche Person davon erfahren.“
Ich schüttelte verwirrt den Kopf.
„Dann wollte mich also jemand aus dem Weg räumen, weil er mir den Erfolg nicht gegönnt hat?“
Der Bildhauer nickte.
„So etwas gibt es öfter, als man denkt. Neid und Missgunst kennen keine Grenzen, lass dir das von einem alten Mann gesagt sein.“
„Okay, das wäre also ein Motiv, das sich gegen mich richtet. Aber was ist mit Alice Wright? War sie vielleicht auch in der engeren Auswahl für das Francis-Cadell-Stipendium?“
Elliot hob die Schultern.
„Soweit ich weiß, nicht. Außerdem gibt es keine Nachrückerliste oder so etwas. Wenn du als Kandidatin ausscheidest, setzt sich die Kommission neu zusammen. Und dann gibt es keine Garantie dafür, dass die Wahl auf einen bestimmten Studenten fällt.“
Nachdenklich drehte ich meinen Teebecher in den Händen hin und her. Irgendwie konnte ich mich gar nicht über die großzügige Studienförderung freuen, obwohl 10.000 Pfund für eine arme Kunststudentin ein kleines Vermögen darstellten. Aber momentan sah es nicht danach aus, dass ich auch nur einen Penny von diesem Geld sehen würde. Die Anzahl der Mordverdächtigen war ja nicht gerade kleiner geworden. Elliot hatte recht: Es musste nur eine einzige falsche Person Wind von meinem Stipendium bekommen haben, um mich ins Unglück zu stürzen.
Nun kehrte auch Cameron zurück. Ich war so in meine Überlegungen vertieft gewesen, dass ich ihn gar nicht hatte kommen hören. Aber ihm war anzusehen, dass auch er etwas herausgefunden hatte. Und im Gegensatz zu seinem Onkel kam er sofort zur Sache.
„Lindsay, sagt dir der Name Robert Cincade etwas?“
„Sicher, das ist doch der Freund von Alice Wright. Also, ich kenne ihn eigentlich nur vom Sehen. Er studiert auch Kunst, belegt aber ganz andere Kurse als ich. Da ich Alice nicht ausstehen konnte, war er mir auch nicht besonders sympathisch. Obwohl ich zugeben muss, dass er mir nie etwas getan hat. Allerdings weiß ich natürlich nicht, ob er nicht hinter meinem Rücken über mich gelästert hat.“
Cameron lächelte. Aber dieses Lächeln war irgendwie seltsam.
„Das kann ich mir nicht vorstellen. Ich habe nämlich ausführlich mit einigen Studenten Kaffee getrunken, die ich schon seit Jahren kenne. Und sie alle meinten, dass Robert Cincade heimlich in dich verschossen sei, Lindsay.“
Ich fiel aus allen Wolken. Nahmen denn die Überraschungen gar kein Ende mehr?
„Alices Freund soll in mich verknallt sein? Ach, komm – das glaubst du doch wohl selbst nicht. Die Typen haben dich verschaukelt, Cameron.“
„Nein, haben sie nicht. Auf meine Menschenkenntnis kann ich mich normalerweise verlassen. Außerdem – warum sollte sich dieser Robert Cincade nicht für dich interessieren? Findest du es so abwegig, dass ein Typ dich hübsch findet? Hast du so wenig Selbstbewusstsein?“
„Äh …“
Mir stockte der Atem. Ich fühlte, dass ich rote Ohren bekam. Cameron hatte mich auf dem falschen Fuß erwischt. Aber das lag vor allem daran, dass ich ihm gerne gefallen hätte. Und nicht diesem Robert Cincade, der mir herzlich egal war. Aber das konnte ich Cameron doch unmöglich sagen. Er würde sonst denken, dass ich mich ihm an den Hals werfen wollte. Und mein Leben war momentan sowieso schon kompliziert genug. Jedenfalls verabscheute ich mich selbst dafür, dass mir so einfach die Sprache wegblieb. Wo war meine Schlagfertigkeit geblieben, auf die ich sonst so stolz war? Es dauerte einen unendlich langen Moment, bis ich mich wieder einigermaßen gefangen hatte.
„Um mein Selbstbewusstsein geht es hier gar nicht, Cameron. Kapierst du eigentlich, was du da gerade gesagt hast? Wenn dieser Robert Cincade wirklich in mich verschossen ist, dann muss doch Alice gedacht haben, ich wollte ihr ihren Freund ausspannen. Wir waren sowieso schon Feindinnen, aber das muss in ihren Augen die Krönung gewesen sein. Vielleicht wollte sie ihren eigenen Tod inszenieren, um mich als Mörderin hinzustellen und endgültig aus dem Weg zu
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