Wer hat Alice umgebracht?
war zu feige, um es selbst zu machen.“
Was für ein alter Spießer?
Mir kam ein entsetzlicher Verdacht. Cameron hatte recht gehabt. Der Treffpunkt in Drumchapel, den der Professor vorgeschlagen hatte, war von vornherein eine Falle gewesen. MacLaren hatte überhaupt nicht vorgehabt, mir Auge in Auge gegenüberzutreten. Stattdessen war diese Straßengang von ihm bezahlt worden, um Cameron und mich zu beseitigen. Die Bloody Priests hatten sich nicht einfach auf uns gestürzt, weil sie Spaß an Gewalt hatten. Nein, diesmal nicht. In dieser Nacht hatten sie ein Blutgeld dafür bekommen. Und zwar von dem ehrenwerten Professor Angus MacLaren!
Auf jeden Fall schien es Lizzie gar nicht recht zu sein, dass Sugar diese Tatsache in die Welt hinausposaunt hatte. Sie stieß ihre Gang-Schwester hart vor die Brust. Sugar taumelte ein paar Schritte zurück.
„Aua! Was soll das? Tickst du noch ganz richtig?“
„Mir geht es super. Aber du kannst dein Maul einfach nicht halten. Du weißt doch genau, dass wir nichts über diesen Kerl in dem schwarzen SUV sagen sollen.“
„Na und? Gleich kann das Miststück nichts mehr weitertratschen, weil sie sowieso fällig ist. Aber du – du spielst dich hier nicht als Chefin auf. Du hast mir überhaupt nichts zu befehlen, Lizzie!“
Mit diesen Worten stürzte sich Sugar auf Lizzie. Im Handumdrehen war ein richtiger Cat-Fight im Gang. Die beiden Gang-Schnepfen schenkten sich gegenseitig nichts. Offenbar war für sie eine Schlägerei so alltäglich wie für mich das Checken meiner E-Mails. Doch das spielte für mich keine Rolle. Zwei andere Dinge waren mir viel wichtiger:
Erstens sollten Cameron und ich auf jeden Fall sterben, jedenfalls hatte ich Sugar so verstanden. Und zweitens waren Lizzie und Sugar momentan ausschließlich miteinander beschäftigt. Fluchend wälzten sie sich auf dem Gehweg, rissen sich an den Haaren und traktierten einander mit Fäusten. Also blieb nur noch eine Gegnerin für mich.
Diese Chance musste ich ausnutzen, denn eine weitere würde ich vermutlich nicht kriegen. Also stürzte ich mich mit dem Mut der Verzweiflung auf Ruth. Sie war ungefähr so groß wie ich. Und im Gegensatz zu mir hatte sie wahrscheinlich schon unendlich viele Raufereien mehr oder weniger erfolgreich hinter sich gebracht. Aber mein Angriff kam überraschend, sie hatte nicht damit gerechnet. Ich rammte ihr meinen Ellenbogen zwischen die Rippen. Ruth jaulte auf und krümmte sich zusammen.
„Dafür mache ich dich alle!“, drohte sie. Ich wartete nicht darauf, dass sie ihre Ankündigung in die Tat umsetzen konnte. Wieder rannte ich los, bevor Ruth ihre Schrecksekunde überwunden hatte. Auch Lizzie und Sugar ließen nun offenbar voneinander ab, um sich auf mich zu konzentrieren. Ein dreistimmiger Chor des Hasses brandete hinter mir auf. Wenn ich diesen Mädchen noch einmal in die Finger geriet, würde ich nichts zu lachen haben. Das durfte auf keinen Fall geschehen. Ich aktivierte meine letzten Kraftreserven und bog um die nächste Straßenecke.
Wieder heulte ein Motor auf.
Ich fürchtete schon, wieder um Haaresbreite überfahren zu werden. Aber diesmal war alles anders. Wie ein schwarzer Fels schien plötzlich der dunkle SUV aus dem Boden zu wachsen. Seine aufgeblendeten Scheinwerfer erinnerten mich an Drachenaugen. Die Beifahrertür wurde aufgestoßen, und eine starke Männerhand packte mich am Jackenärmel.
Ich war viel zu verblüfft, um Widerstand zu leisten. Im Handumdrehen hatte mich der Unbekannte in sein Auto gezerrt. Die Beifahrertür wurde wieder zugeschlagen. Und bevor meine drei Verfolgerinnen den SUV erreichen konnten, trat der Fahrer das Gaspedal bis zum Fahrzeugboden durch. Im Rückspiegel sah ich, dass Lizzie einen Pflasterstein aufhob und hinter uns her schleuderte. Aber das Wurfgeschoss verfehlte die Stahlblechkarosserie.
„Diese Straßengang-Luder sind wirklich zu nichts zu gebrauchen“, sagte eine Stimme, die mir nur allzu bekannt war. Ich drehte den Kopf. Obwohl in dem SUV Halbdunkel herrschte, spendeten die beleuchteten Instrumentenanzeigen auf dem Armaturenbrett genug Licht. Ich wusste nun, neben wem ich saß.
Der Wagen wurde von Angus MacLaren gelenkt, Kunstprofessor und Mörder von Alice Wright.
9. KAPITEL
Einen Moment lang, der mir wie eine halbe Ewigkeit vorkam, war ich sprachlos. Während ich das Handy einschaltete, das in meiner Tasche steckte, versuchte ich, wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Ich konnte nur hoffen, dass MacLaren das Gerät nicht
Weitere Kostenlose Bücher