Wer hat Angst vor Beowulf?
sicher. Alle anderen Städte, durch die wir gefahren sind, haben meinen Verdacht erhärtet. Der Feind hat seine neue Stadt als perfektes Abbild der alten gebaut, nur daß sie viel größer und wesentlich primitiver ist.«
»Primitiver?«
»Ja, und zwar entschieden. Zunächst einmal war das gesamte Geirrodsgarth mit einem Glasdach versehen. Daß London nicht überdacht wurde, liegt wahrscheinlich daran, daß der Zaubererkönig nur Einfluß auf die Gesamtgestaltung dieser Stadt hatte, so daß sie nicht ganz seinen Vorstellungen entspricht. Aber sämtliche Gebäude in Geirrodsgarth sahen genauso wie diese viereckigen Türme dahinten aus.« Er deutete auf eine geballte Ansammlung von Wohntürmen in der Ferne. »Ich nehme an, die Sachsen haben sich ihm gegenüber wesentlich sturer verhalten als die Finnen. Sie sind und bleiben nun mal ein Volk von Krämern.«
Schließlich parkte Hildy in einer Seitenstraße in Hoxton, direkt am Regent’s Canal. Weiter in die Innenstadt hineinzufahren, wäre irgendwie nicht sicher gewesen. Hildy spürte eine unbestimmte, aber lokalisierbare Bedrohung, und dem König und dem Zauberer schien es ähnlich zu ergehen. Sie hockten hinten im Lieferwagen zusammen und unterhielten sich leise miteinander. Hildy stellte enttäuscht fest, daß Kotkel den Sprachzauber aufgehoben hatte, so daß sie nicht verstand, worüber gesprochen wurde. Sie kam sich verraten und überflüssig vor. Mit angespannter Stimme sagte sie etwas davon, daß sie losgehen und etwas zu essen besorgen wolle, und öffnete die Tür. Der König schaute sofort auf und brummelte etwas vor sich hin, von dem Hildy natürlich kein Wort verstand. Arvarodd übersetzte für sie.
»Er sagt, Sie sollten lieber nicht gehen.«
»Aber ich hab Hunger«, erwiderte Hildy zickig. »Und ich bin sicher, das geht in Ordnung.«
Der König sagte noch etwas. »Er sagt, wenn Sie unbedingt gehen müssen, sollten Sie wenigstens den Verwandter mitnehmen.«
»Hab ich bei der ganzen Sache vielleicht auch noch ein Wörtchen mitzureden?« mischte sich der schwarze Turm ein. »Zwei Züge noch, und dann ist Schach.«
Arvarodd hob den Turm auf und reichte ihn Hildy. »Stecken Sie ihn einfach in die Tasche.«
»Nein, danke«, sagte sie mit näselnder Stimme. »Ich bin keine Spielverderberin.«
»Bitte, mir zuliebe!« bettelte Arvarodd. Geistesabwesend nahm Hildy den Turm und steckte ihn in die Tasche. Dann öffnete sie die Tür und schlüpfte hinaus.
Es dauerte eine Weile, bis sie einen Fish’n’Chips-Laden gefunden hatte, und sie hatte nicht übel Lust, dem König und dem Zauberer nichts mitzubringen. Aber schließlich bestellte sie fünfmal Dorsch und Pommes, fünf Hähnchen mit Schinkenpastete und für sich selbst als Trostpflaster eine Minisalami. Sie bemerkte nicht, daß die beiden jungen Männer mit den Lederjacken, die sich die ganze Zeit am Glücksspielautomaten verdingt hatten, ihr nach draußen gefolgt waren. Als Hildy etwa die Hälfte der Strecke zum Lieferwagen zurückgelegt hatte, traten sie in Aktion. Der eine versperrte ihr den Weg, wobei er mit einem kurzen Messer herumfuchtelte, während der andere nach ihrer Tasche griff. Hildy erstarrte vor Angst, drückte das Essenspaket an die Brust und stieß ein quietschendes Geräusch aus.
»Los, kleine Lady, Tasche her!« schrie der Junge mit dem Messer. »Sonst stechen wir dich ab, verstanden?«
Er machte einen Schritt nach vorn, und im selben Augenblick fiel etwas aus Hildys Tasche und rollte in den Rinnstein. Er schaute zur Seite und ließ plötzlich das Messer fallen. Wie aus dem Nichts tauchte eine furchterregende Gestalt vor ihm auf. Zuerst sah sie wie ein riesiger Bär aus, im nächsten Moment wie ein Wolf mit roten Augen und heraushängender Zunge, und schließlich verwandelte sich das Wesen in einen turmhohen, grimmig dreinschauenden Mann, der eine breite Axt schwang. Einen Moment lang glotzten die beiden jungen Männer nur blöde, dann rannten sie davon, wobei sie das Gefühl hatten, ihnen säße ein riesiger schwarzer Adler im Nacken. Sie liefen immer schneller und verschwanden um die Ecke.
»Ich wußte doch, daß der Stoff, den du mir verkauft hast, gepanscht war!« rief der eine dem anderen zu.
»Sind Sie okay?« erkundigte sich Brynjolf besorgt, als er zurückgeflogen kam und sich auf dem Außenspiegel eines Autos niederließ. Er ordnete mit dem Schnabel die zerzausten Federn und verwandelte sich dann in eine Schachfigur zurück. »Tut mir leid, daß ich so lange gebraucht
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