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Wer hat Angst vor Beowulf?

Wer hat Angst vor Beowulf?

Titel: Wer hat Angst vor Beowulf? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Holt
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Männer mit ihm. Das Schwert gelangte schließlich in die Hände meines Großvaters Eyjolf, der der Enkel Odins war. Diese Geschichte soll irgend etwas beweisen, aber ich hab vergessen, was.«
    Hildy saß still da und sagte nichts. Der Mond lugte gerade hinter einer Wolke hervor und warf einen Lichtstrahl durch die Bäume, der auf den Griff des Schwerts fiel und ihn glitzern ließ. Der König lächelte und zog mit einer leichten Handbewegung das Schwert aus der Scheide. Aus irgendeinem Grund begann Hildy zu zittern. Die im Mondlicht merkwürdig glühende Klinge wirkte unheimlich auf sie, und sie konnte plötzlich die Runen, die in den Griff eingraviert waren, klar und deutlich erkennen.
    »Über das Schwert«, fuhr der König fort, »wird folgendes erzählt: Die Klinge besteht aus reinem Zwergenstahl, aber der Griff wurde von Yngwar durch den Griff des Schwertes Gram ersetzt, das Sigurd der Drachentöter trug. Die Klinge des Schwertes Gram ging zwar verloren, aber der Griff wurde von den Nachfahren Atlis von Ungarn als Erbstück aufbewahrt. Als nächster in der Erbfolge ließ mein Großvater Eyjolf eine neue Parierstange hinzufügen, die von dem Schwert Helvegr stammte, das einstmals den Eisriesen von Permia gehört hatte. Mein Vater Ketil fügte die Scheide hinzu, in der einst das Schwert des Gottes Freyr untergebracht war, und befestigte am Knauf den großen weißen Juwel namens Erdenstern, der an dem Tag, da ich geboren wurde, vom Himmel fiel und nach dem ich benannt wurde.« Der König lächelte und legte die Hand sanft auf den Schwertgriff. »Dabei ist es kein schlechtes Schwert. Ein wenig zu leicht für meinen Geschmack, aber es liegt gut in der Hand. Hier«, sagte er und reichte Hildy das Schwert.
    Erst traute sie sich nicht, es in die Hand zu nehmen; dann umfaßte sie den Griff mit beiden Händen und hob es hoch. Sie war erstaunt darüber, wie leicht es zu führen war. Es fühlte sich fast wie ein Lebewesen an.
    »Es ist wirklich wundervoll«, schwärmte sie überschwenglich. Aber während sie es betrachtete, wie es so kalt im Mondlicht glühte, wurden ihr plötzlich die Augen geöffnet, und wie in einem Traum sah sie die Gesichter vieler Könige und Krieger und rotes Blut auf blauem Stahl. Sie sah die emsigen Zwerge in einer großen Höhle, wie sie im orangeroten Licht geschäftig neben dem Schmiedefeuer knieten, und sie hörte den Klang der Hämmer, das Zischen beim Abkühlen des heißen Metalls und das Kratzen von Wetzsteinen beim Schleifen der Schneide. Sie sah eine große, in einen dunklen Umhang eingemummte Gestalt, die die Arbeit beaufsichtigte und zu der Handwerkskunst der Schmiede noch die Kraft des Windes, der Gezeiten und des Blitzes hinzufügte. Sie sah, wie diese Gestalt das Schwert in die Hand nahm – so, wie sie es gerade getan hatte – und es genau musterte, um sich zu vergewissern, daß es absolut gerade und maßgerecht war. Dann verschwand die Vision so plötzlich, wie sie gekommen war, und ließ nur das Mondlicht zurück, das sich immer noch in den im Griff eingravierten Runen brach. Während sie Buchstabe auf Buchstabe entzifferte, schlug ihr Herz wie ein Schmiedehammer.
    Hergestellt in mehr als einem Land.
    Der Mond verzog sich wieder hinter einer Wolke.
    »Sehr schön«, sagte sie und gab dem König das Schwert zurück. Hrolf Erdenstern grinste und ließ es wieder in die Scheide gleiten.
    »Soweit ich weiß«, sagte er, »sind alle diese Legenden völlig wahr. Wahr, aber zum größten Teil unwichtig. Wie gesagt, so ist das Heldenleben. Genauso, wie alle Helden herrlich buschige Bärte haben, weil es schwierig ist, sich auf einem sturmgeschüttelten Langboot zu rasieren, ohne sich selbst die Kehle durchzuschneiden.«
    »Ich verstehe«, sagte Hildy.
    »Und unser spezielles Abenteuer«, fuhr der König fort, »gehört auch zum echten Heldenleben, und du bist eine Heldin, so wie wir Helden sind. Es ist zwar unglaublich gefährlich, aber man denkt einfach nicht darüber nach. Nur ein Spiel, eine kurze Wiederholung der Kindheit – oder was glaubst du, warum schließlich sämtliche Legenden von Helden und Kriegern als Kindergeschichten enden? Als ich ein kleiner Junge war, wollte ich immer ein Fischer sein.«
    »Als ich ein kleines Mädchen war, wollte ich immer eine Wikingerin sein.« Hildy lachte plötzlich. »Es hat Spaß gemacht«, fuhr sie fort, »aber nicht so, wie ich mir das vorgestellt hab. Wenn wir getötet werden, gehen wir dann nach Walhalla? Über die Regenbogenbrücke?«
    »Die

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